Tod vor der Morgenmesse
Dach kringelte, verriet das. Die Äbtissin hatte also recht.
|29| Im Handumdrehen wurde wieder ein tüchtiges Feuer entfacht. Der bejammernswerte Seemann befreite sich in der wohltuenden Wärme von den naßkalten Fetzen seiner Bekleidung, und aus den Packen, die die jungen Ordensschwestern trugen, reichte man ihm trockene wollene Sachen. Die Äbtissin hatte ihn richtig eingeschätzt; die Kutte paßte, war warm, es gab nichts daran auszusetzen. Sobald er sich umgezogen hatte, gab ihm die junge Frau, die ihm behilflich war, Branntwein zu trinken und versorgte ihn mit Brot, Käse und Fleisch. Esumaro bekundete mehrfach seine Dankbarkeit dafür, doch ihm fielen die Augen zu, und er konnte gegen die Müdigkeit nicht ankommen.
Er versank in einen kurzen Schlaf. Als Kapitän war er gewöhnt, an Bord immer nur kurz zu schlummern. Nach vielleicht einer Stunde hob er den Kopf, rieb sich die Augen und schaute umher. Zu seiner Überraschung saßen die frommen Schwestern noch am Feuer.
Die junge Frau, die ihn entdeckt hatte, war neben ihm und lächelte sanft.
»Wir hielten es für besser, zu bleiben, bis du aufwachst«, erklärte sie ihm. »In den Wäldern hier treiben sich Wölfe herum.«
Die Äbtissin setzte sich zu ihnen.
»Jetzt bin ich ausgeruht und munter«, versicherte er und richtete sich auf.
»Fühlst du dich jetzt wirklich gut?« erkundigte sie sich. »Ruh dich nur noch eine Weile aus, wenn dir danach ist, aber schlaf nicht ein, es sei denn, du hast keine Schwierigkeiten, jederzeit wach zu werden. Wölfe gibt es hier tatsächlich, wie Schwester Easdan gesagt hat. Die Strecke bis zur Abtei dürfte dir keine besondere Mühe bereiten. Wir jedenfalls müssen jetzt weiter westwärts ziehen, sonst erreichen wir unser Ziel nicht mehr vor Sonnenuntergang.«
|30| »Mir geht es schon viel besser«, behauptete Esumaro ernsthaft. »Ich fühle mich kräftig genug. Mich bedrückt nur, daß ich dir deine Freundlichkeit nicht entgelten kann. Weißt du, ob ich beim Kloster Colmán ein Schiff aus Gallien erreichen würde?«
Äbtissin Faife zuckte die Achseln. »Als wir dort waren, haben wir keine großen Schiffe gesehen. Und der Verwalter der Abtei hat uns erzählt, daß dort schon seit Wochen kein Schiff angelegt hat. Das schien ihm Sorgen zu machen. Die Abtei ist schließlich auf den Seehandel angewiesen«, fügte sie hinzu. Wie sollte sie ahnen, daß ihr Schützling das besser als kein anderer wußte.
Er wollte sie noch etwas fragen, doch da vernahm er das Getrappel galoppierender Hufe. Sie blickten aus der Türöffnung der Steinhütte. Auf dem Weg unter ihnen preschten einige Reiter dahin. Einer von ihnen schrie plötzlich etwas und deutete nach oben. Sofort machte der Trupp kehrt, und wenige Augenblicke später hatte ein Dutzend grobschlächtiger Krieger mit gezogenen Schwertern die Raststätte der Pilger umzingelt. Ihre Pferde stampften unruhig den Boden und schnoben heißen Atem aus den Nüstern. Esumaro wurde gewahr, daß sich zwischen ihnen eine kleinere Gestalt befand, die von Kopf bis Fuß in ein graues Gewand gehüllt war, so daß kein Teil des Körpers sichtbar wurde. Die Kapuze war völlig über den Kopf gezogen. Die Gestalt war offenbar von schlankem Wuchs und hatte rundliche Schultern.
Die Äbtissin trat heraus und musterte sie verärgert. »Was sucht ihr hier?« verlangte sie mit fester Stimme.
Der Befehlshaber des Trupps, ein ungeschlachter Kerl mit strubbligem schwarzen Bart und einer Narbe über der Stirn lachte trocken auf.
»Dich suchen wir, Weib, und deine fromme Brut. Unser |31| Meister braucht euch, und deshalb werdet ihr jetzt mit uns ziehen.«
Esumaro überlief es kalt. Er erkannte die Stimme, das war der Anführer der Strandräuber, denen er entkommen war. Wie hieß er doch gleich? Richtig, Olcán!
»Wir dienen nur einem Meister, das ist Jesus Christus«, erwiderte die Äbtissin. »Wir sind auf Pilgerfahrt zum …«
»Ich weiß, wohin ihr zu gelangen glaubt, Weib«, fauchte der Kerl. »Aber ich weiß auch, daß euch ein anderes Ziel bestimmt ist. Bald werdet ihr einem anderen Meister dienen«, scherzte er unheilverkündend. »Los, kommt jetzt! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Die Äbtissin ließ sich nicht einschüchtern. »Ich bin die Äbtissin Faife des Klosters Ard Fhearta. Steckt eure Schwerter weg und zieht hin in Frieden. Wir brechen jetzt zur Kapelle auf dem Bréanainn-Berg auf und …«
Esumaro bemerkte, daß der Schwarzbart zu der schmächtigen Gestalt in der grauen Kutte
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