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Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman

Titel: Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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Gast eine Frau, die mein einziges, sehr beeindrucktes Publikum darstellte.
    Um es gleich zu gestehen — je entsetzlicher die Akten auf meinem Schreibtisch, umso größer war meine Sehnsucht nach der Liebe
     meines Lebens, der Frau, dieser mythischen Seelenverwandten, die mich in den unruhigen Nachtstunden im warmen Bett willkommen
     heißen und umarmen würde. Jemand, der, neben den anderen anwesenden Frauen, an den samstäglichen Grillabenden unseren Beitrag
     zu den von den Gästen mitgebrachten Salaten abstellen würde, den ich mit ebensolchen liebenden, eifersüchtigen Besitzansprüchen
     wie in Breyten Breytenbachs gleichnamigen Gedicht als »meine Frau« bezeichnen könnte. In mir war eine Einsamkeit, eine Leere,
     eine Unvollständigkeit, die über die Monate hinweg anwuchs. Es war, als würde die Art meiner Arbeit diese Leere noch vergrößern,
     sodass ich mit umso stärkerer Entschlossenheit nach ihr suchte — das Kap ist ein Mekka für unverheiratete Männer aus der Mittelschicht,
     das zahlenmäßige Verhältnis von Männern zu Frauen auf der Halbinsel kann als äußerst attraktiv bezeichnet werden, und der
     Polizeiapparat, der es ermöglichte, ein Mädchen für einen Bullen zu finden, ist sicherlich einer der besten der Welt. Aus
     diesem Grund fand sich bei den samstäglichen Grillfeten häufig jemand an meiner Seite. Und sonntagmorgens in meinem Bett.
     Eine bewundernde Helferin in der Küche, wo ich bei der Zubereitung des festlichen Sonntagsmahls meine kulinarische Überlegenheit
     gegenüber meinen Kollegen ausspielte. Und nach dem Dinner versuchten wir, schläfrig und abgefüllt mit gutem Essen, auf der
     Couch im Wohnzimmer oder dem Bett diesen anderen Hunger zu stillen.
    |415| Denn am Montag war ich wieder in der Arbeit, wieder im dunklen Herz der Welt, wo andere tiefsitzende, verborgene Leidenschaften
     ausgelebt wurden.
    Zusammen mit Nagel.
    Wir hatten eine sehr seltsame Beziehung. Manchmal erinnerte sie mich an ein altes Ehepaar, das sein Leben damit verbrachte,
     aufeinander herumzuhacken — oberflächlich betrachtet eine nie enden wollende Auseinandersetzung, der allerdings tiefer gegenseitiger
     Respekt zugrunde lag, und Liebe, die alles aushielt.
    Eine Beziehung, die im Hochofen der Polizeiarbeit, im Dampfdrucktopf der Gewalt, des Blutes und der Morde geschmiedet worden
     war. Zwei Jahre lang standen wir Seite an Seite in der Schusslinie, ermittelten in jedem denkbaren Verbrechen, das von Menschen
     gegen Menschen begangen werden konnte, und jagten die Schuldigen mit hingebungsvoller Leidenschaft.
    Nagel war nicht sonderlich gebildet, Bücherwissen brachte er keinerlei Achtung entgegen. Er behauptete, bei der Polizeiarbeit
     komme man nicht an die Spitze, wenn man sich auf Lehrbücher oder Vorlesungsskripte verlasse. Mit dem schönen Schein konnte
     er nichts anfangen, noch weniger mit dem Eiertanz gesellschaftlicher Beziehungen — den kleinen Notlügen, der geheuchelten
     Freundlichkeit, dem Streben nach oberflächlichen Statussymbolen.
    »Scheiße, Mann«, so lautete üblicherweise seine kopfschüttelnde Reaktion auf alles, was ihm sinnlos erschien, und er benutzte
     sie oft, sie und die allgemein üblichen Möglichkeiten und unbegrenzten Anwendungsgebiete des Wortes »Arsch«. Es war Nagel,
     der mich zu fluchen lehrte — nicht |416| bewusst, aber die Leichtigkeit und Beiläufigkeit, mit der er Flüche einsetzte, waren für mich eine Offenbarung und ansteckend
     wie ein tödlicher Virus.
    Nagel war der einzige Detective am Morddezernat, der sich von der Kaltherzigkeit unserer Arbeit unberührt zeigte.
    Er akzeptierte die Kriminalität der menschlichen Spezies als etwas Gegebenes — und seine Rolle war es lediglich, Gerechtigkeit
     auszuüben, den Mörder und Vergewaltiger und Dieb zu jagen und in die Ecke zu treiben, ohne weiter darüber nachzudenken, ohne
     sich selbst zu durchleuchten, ohne sich damit zu quälen, was die manchmal erschreckenden Verbrechen auch über ihn als Angehörigen
     derselben Spezies aussagten.
    Es war nicht so, dass er sich lediglich eine versteinerte Kruste über einem ansonsten weichen Kern zugelegt hatte. Nagel war
     eindimensional, und wahrscheinlich war er deswegen der beste Polizist des langen Arms des Gesetzes, den ich kannte.
    Wir hackten aufeinander herum. Über die Art und das Motiv des Mords, über die Psyche des Mörders, über die rätselhaften Spuren
     am Tatort, die andeuteten, in welche Richtung die Ermittlungen gehen sollten, über den

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