Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
der ANC?«
Am Samstag war das Fußballstadion in Saraktasch so voll mit sowjetischen Soldaten, dass man sie nicht mehr zählen konnte.
Wochenendfreigänge waren gestrichen, alle Militärangehörigen waren dazu aufgerufen worden, ihre Männer zu unterstützen, und
als ihre Mannschaft aus den Katakomben |411| kam, sah man ein Meer aus roten T-Shirts mit gelbem Hammer und Sichel auf der Brust, die Menge tobte, und unsere kleine Fangruppe
wagte fast während des gesamten Spiels kaum, auch nur den Mund aufzumachen.
Es war wahrscheinlich kein besonders tolles Rugby, das wir spielten, vor allem nicht in der ersten Halbzeit. Zu unserer großen
Überraschung beherrschten die Russen das Spiel nicht, wie wir es erwartet hatten. Sie waren zwar erfahrener als wir, aber
keine geölte Maschine. Zur Halbzeit lagen sie 18 zu 6 vorn, nachdem Moosa zweimal mit einem Sprungtritt ein Goal erzielt hat,
und dann sagte er zu uns: »Jungs, diese Roten sind zu schlagen. Ich spür es, spürt ihr es auch?« Vielleicht waren wir nicht
mehr eingeschüchtert, vielleicht hatten wir geglaubt, sie würden uns mit ihrer Übermacht zermalmen, uns blutend ins Gras fegen,
und als das nicht geschah, mussten wir uns eingestehen, dass er Recht hatte. Diese Jungs waren zu schlagen …
›Sie sind langsam‹, hat Moosa gesagt. ›Bringt den Ball zu Zuma, egal wie, bringt den Ball zu Zuma.‹ Napoleon Zuma war unser
linker Flügel, er war erst neunzehn, ein Zulu, klein, aber er hatte ein Paar Oberschenkel, die man nicht mit zwei Händen umfassen
konnte, und er war schnell wie der Wind.
Wir brauchten fünfzehn Minuten, bis wir ihn zum ersten Mal freibekamen, und dann erzielte er einen Versuch, und plötzlich
schien sich auf dem Spielfeld etwas zu tun, es war, als würden diese fünfzehn Südafrikaner aus den Townships und den Dörfern
und Siedlungen der Bantustans plötzlich dieses seltsame, wunderbare Spiel kapieren. Und wir spielten. Und je besser wir spielten,
umso stiller wurde die |412| Zuschauermenge der Roten Armee und umso lauter wurde unsere kleine Fangemeinde auf den seitlichen Stehplätzen, und Napoleon
Zuma erzielte zwei weitere Versuche, und plötzlich hatten wir ausgeglichen, es waren noch zehn Minuten zu spielen, und wir
wollten gewinnen, wir wussten, wir würden gewinnen, Sie hätten die Jungs sehen sollen, van Heerden, Sie hätten sie sehen sollen,
wie sie spielten, es war wunderbar, es war unbeschreiblich schön.«
Dann schwieg Tiny Mpayipheli und sah zu den fernen Sternen im dunklen Kap-Winter, und er zitterte in seinem großen, schwarzen
Mantel.
»Ist das Orion?«, fragte er und deutete mit dem Finger nach Osten.
»Ja.« So saßen sie, starrten auf den Morgenstern, als aber das Schweigen andauerte, hielt es van Heerden nicht mehr aus.
»Und, habt ihr gewonnen?«
Der Schwarze zeigte in der Dunkelheit ein breites Lächeln. »Das Schönste war, der Schiedsrichter hat schon seinen Versetzungsbescheid
nach Afghanistan vor sich gesehen, aber auch er konnte mit seiner Pfeife nichts mehr ausrichten, obwohl er sein Bestes gegeben
hat. Auf dem Rugbyfeld hat an jenem Tag Südafrika sein einziges Spiel gegen die Rote Gefahr 36 zu 18 gewonnen.«
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Ich mietete ein Haus in Brackenfell, vernachlässigte den Garten und lieh mir jeden zweiten Samstag den Rasenmäher von meinen
der gutbürgerlichen Mittelschicht zugehörigen Nachbarn, den van Tonders, aber ich war nicht oft zu Hause.
Ich entwickelte meinen eigenen Wochenrhythmus. Jeden Tag und sehr häufig auch nachts ging ich mit derselben blinden Leidenschaft
wie meine Kollegen der Arbeit nach. Manchmal, wenn es der Dienst erlaubte, besuchte ich an den Donnerstagabenden die Sinfoniekonzerte
in der City Hall, oft allein. Am Samstagabend gab es meist irgendwo ein Barbecue, wo sich ein geschlossener Polizistenzirkel
einfand, der sich an die ungeschriebenen Gesetze zum Fleisch- und Alkoholkonsum hielt, wo Trunkenheit entschuldigt wurde,
solange sich Frauen und Kinder nicht darüber aufregten.
Und sonntags kochte ich.
Ich begab mich auf eine kulinarische Reise durch alle Kontinente — thailändisch, chinesisch, vietnamesisch, japanisch, spanisch,
französisch, italienisch, griechisch, die Küche des Nahen Ostens. Ich plante die Gerichte bereits während der Woche, besorgte
samstags die letzten Zutaten und verbrachte den Sonntag in der Küche, ließ mir Zeit, trank ein Glas Rotwein und hörte eine
Oper auf der Stereoanlage, dazu als |414|
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