Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
hinter allem gestanden hatte, wer dann?
Das Timing.
Brits hatte gesagt, Schlebusch sei erschossen worden, weil sein Foto in der Zeitung veröffentlicht worden war. Aber der zeitliche
Ablauf konnte nicht stimmen. Zwischen fünf, sechs Uhr morgens, als die
Burger
erschien, und dem Telefonanruf lag nicht genügend Zeit, um einen Mord zu begehen, eine Strategie zu entwickeln, um ihn, van
Heerden, nach Hout Bay zu locken und die Killer nach Morning Star zu schicken.
Nein, so war das nicht gelaufen.
Scheiße, er wusste nicht, wie die Sache abgelaufen war, aber er hatte einen dünnen Faden, an dem er ziehen und dann sehen
konnte, was dabei zum Vorschein kam: den Inhalt der Brieftasche.
Er sah auf seine Uhr. 13.12 Uhr. Noch genügend Zeit, um nach Observatory zu fahren, bevor um 14 Uhr der Anruf kam. Er würde
Tiny rufen müssen. Er packte den Inhalt wieder in die Brieftasche, schloss sie, steckte sie in seine Jacke. Ging zur Tür,
an der Wand daneben stand die Heckler & Koch. Er betrachtete sie. Das Ding war zu groß. Zu unhandlich. Zu auffällig.
Er hielt inne.
Vielleicht war es an der Zeit?
|471| Nein.
Was hatte Mat Joubert zu Bester Brits gesagt?
Sich von der Last befreien.
Ein Moment des Zweifels, kurz verspürte er das alte vertraute Ziehen im Magen, als er an die Z88 dachte, dann ging er zum
Schlafzimmer, öffnete den Schrank, schob die Pullover vor dem kleinen Safe zur Seite, drehte am Kombinationsschloss und ließ
ihn aufklicken. Er nahm die alte Dienstpistole samt Magazin heraus, stieß das Magazin in den Griff — nicht darüber nachdenken,
er wollte nicht darüber nachdenken —, schob die Waffe hinten unter seinen Gürtel, zog den Pullover darüber, ging zur Eingangstür,
nahm die Heckler & Koch — er musste sie Tiny zurückgeben — und öffnete die Tür.
»Hallo, Zatopek«, sagte Kara-An Rousseau, die Hand in der Luft, bereit anzuklopfen. Sie sah zur Maschinenpistole. »Liebst
du mich noch?«
|472| 50
Wir standen neben der Leiche, dem ersten Opfer des Rotbandmörders, als Nagel sagte: »Wenn sich irgendjemand an meine Frau
ranmacht, dann erschieß ich ihn. Wie einen Köter.«
Es kam wie aus dem Nichts. Er hatte sich über die nicht mehr ganz junge Prostituierte gebeugt und das rote Band betrachtet,
mit dem sie erdrosselt worden war, plötzlich richtete er sich auf und sah mir in die Augen, und sein Adamsapfel hüpfte bei
jedem Wort auf und ab. Und dann wandte er den Blick wieder ab und konzentrierte sich auf den Tatort.
Und mein Herz setzte eine Sekunde lang aus, meine Handflächen schwitzten, erschrocken fragte ich mich, woher er es wusste,
er konnte es doch nicht wissen, wir waren so unglaublich vorsichtig. Nach dem zweiten Mal parkte ich meinen Toyota noch nicht
einmal mehr vor Nagels Haus, ich ließ ihn zwei Straßenzüge entfernt auf dem Parkplatz eines Cafés stehen und ging zu Fuß,
nach vorne gebeugt, wie ein Verdächtiger, wie ein Verbrecher.
Ich, der ich trotz meiner lässlichen Sünden der Selbstsucht und des Egoismus die bewusste Entscheidung getroffen hatte, mich
um Rechtschaffenheit zu bemühen, ehrlich und selbstbeherrscht zu leben. Ich, der sich beim Anblick jedes Tatorts von neuem
dazu entschloss, sich auf die Seite der |473| Guten zu stellen, das Böse, das Ungeheuer, das in den anderen schlummerte, zu zähmen und zu bekämpfen.
Und dann, und in den folgenden Jahren, dachte ich immer wieder an diesen Augenblick, betrachtete ihn von allen Seiten und
untersuchte ihn, als wäre er ein Beweisstück, als wäre er ein Indiz, das Nagels Worte erklären würde.
Hatte ich mich ihm gegenüber anders verhalten, nachdem er aus De Aar zurückgekehrt war? Ich dachte, ich hätte es wunderbar
kaschiert, wir gifteten uns an, witzelten, stritten uns, wie wir es immer getan hatten, aber vielleicht zeigte sich eben doch
das feine Schuldgefühl, wenn sich unsere Blicke trafen.
Oder hatte sich Nonnie nach seiner Rückkehr anders verhalten, hatte er sie vielleicht in der Küche vorgefunden, wo sie leise
vor sich hin gesummt hatte, hatte sie etwas gesagt oder etwas nicht gesagt?
Oder lag es am berühmten Instinkt Nagels, seinem besonderen Sinn, mit dem er, trotz aller Banalität, gesegnet war?
War es C. G. Jung, der meinte, es gebe keine Zufälle? Hatte Nagel mich an jenem Tag bewusst oder unbewusst-bewusst zu Nonnie
geschickt? Sogar diese Möglichkeit zog ich in Betracht, doch die psychologischen Fallstricke bildeten ein Labyrinth aus
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