Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
Schultern und Brustkorb wölbten sich unter dem Tarnoverall, gedrungen,
mächtig, das Gesicht kam ihm bekannt vor, wie ein Freund, an den er sich vage erinnerte, und dann sah er das dunkle Mal am
Hals, ein Fleck so groß wie eine Männerhand, und das rhythmische Klatschen verstummte, plötzlich war es still, nur der Regen
schlug leise auf das Wellblechdach.
|513| »Sprenkel«, sagte er.
Das Gesicht sonnenverbrannt, die Augen hell und intelligent, das breite Lächeln aufrichtig und gewinnend.
»Sie sind gut, van Heerden, das muss ich Ihnen lassen. Sie haben in … wie viel, sechs, sieben Tagen mehr erreicht als das
gesamte südafrikanische Militär in dreiundzwanzig Jahren.«
Van Heerden erkannte die Stimme wieder, die heute Morgen angerufen hatte. Ruhig. Überlegt. »Und jetzt ist es vorbei«, sagte
er.
Das Lächeln wurde noch breiter, weiße Zähne schimmerten. »Sie sind gut, van Heerden, aber so gut nun auch wieder nicht.«
»Aber er ist nicht allein«, sagte Tiny Mpayipheli.
»Halt’s Maul, Kaffer, wenn sich die weißen Bosse unterhalten.«
Van Heerden spürte regelrecht, wie Mpayipheli zusammenzuckte, als hätte ihm jemand ein unsichtbares Messer in die Brust gerammt.
»Es ist vorbei, Sprenkel.«
»Keiner nennt mich mehr Sprenkel.« Das Lächeln war verschwunden.
»Wo ist das Testament, Sprenkel?«
Er schlug mit der flachen Hand auf den Metalltisch, im Raum donnerte es. »Basson!« Der Ausruf eine Explosion, er hatte sich
halb erhoben, Tiny allerdings hatte die Rossi gezogen, seine großen schwarzen Hände umfassten den Pistolengriff, der Lauf
schimmerte, in der Luft eine tödliche Stille.
Langsam setzte sich Venter wieder. »Man nennt mich |514| Basson«, sagte er leise, den Blick auf van Heerden gerichtet, als existierte Mpayipheli nicht. Sein Flüstern dröhnte im leeren
Raum.
»Wo ist das Testament?«
»Haben Sie meine Nachricht nicht erhalten?«
»Ich glaube Ihrer Nachricht nicht.«
Das Lächeln erschien wieder. »Dr. Zatopek van Heerden, Kriminalpsychologe, wenn ich mich nicht irre.«
Van Heerden sagte nichts.
»Das Testament ist hinten.« Die Hand, mit der er zur Tür hinter sich wies, war groß und wettergegerbt, die Finger und das
Handgelenk dick.
»Holen wir es uns.«
»
Sie
holen es. Der Kaffer und ich werden das Thema der weißen Vorherrschaft ausdiskutieren. Falls er keine Angst hat, seine kleine
Kanone wegzulegen.«
Mpayipheli drehte die Rossi um und hielt sie mit dem Griff van Heerden hin.
»Nehmen Sie sie.«
»Tiny.«
»Los, Sprenkel.« Die Stimme des Xhosa war ein tiefes Knurren wie das eines Tiers. Er zog seine Jacke aus und warf sie zu Boden.
»Tiny!«
»Holen Sie das Testament, van Heerden«, sagte Mpayipheli, der den Blick nicht von Venter ließ. Er schob die Hände unter den
Kragen, riss sich das Hemd vom Leib, Knöpfe flogen, Stoff wurde zerfetzt.
»Öffnen Sie die Tür, Doktor.« Venter erhob sich hinter dem Tisch, er war klein und unheimlich breit, zog den Reißverschluss |515| seines Militäroveralls auf, wuchtige Muskelstränge kamen zum Vorschein, zahllose Tätowierungen bedeckten seinen beeindruckenden
Oberkörper. Sie standen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, der große, athletische Schwarze, der kleine Weiße, ein
Monster aus Fleisch- und Muskelbergen und hervortretenden blauen Venen.
»Öffnen Sie die Tür.« Venter hatte nur Tiny im Blick, seine Stimme glich einem befehlenden Bellen.
Einen Moment lang war er unentschlossen.
»Gehen Sie schon«, sagte Tiny.
Er machte zwei, drei Schritte zur Tür und öffnete sie.
Dann erstarrte er.
Hope Beneke, Bester Brits und ein weiterer Mann kauerten auf den Knien, die Hände auf den Rücken gefesselt, vor ihnen standen
drei Männer, die ihnen jeweils den Lauf eines Gewehrs in den Mund hielten. Sie sahen ihn nicht an, ihr Blick war auf ihre
jeweiligen Ziele fixiert, sie hatten den Finger am Abzug. Hinter ihnen stand ein Unimog, dessen Ladefläche mit einer Plane
bedeckt war, daneben ein weißer Lieferwagen.
»Sie sehen, Doktor, es ist noch nicht vorbei. Es ist noch lange nicht vorbei.«
Er blickte zurück zu Venter, sah die beiden Männer, die sich leicht geduckt im trüben Licht gegenüberstanden, dann ging sein
Blick wieder in den Raum, er sah Hopes zitternden Körper, ihre Lippen, die den Lauf der M16 umschlossen, Tränen liefen ihr
über die Wangen, ihre Augen richteten sich auf van Heerden. Er hob die Rossi, sah, wie seine Hände zitterten, zielte auf den
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