Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
Miller.« Sie war verzweifelt, wütend, aufgelöst, O’Gradys starrer Blick ging ihr nicht
aus dem Kopf. Sie sah Miller stehen bleiben, er blickte sich um, wartete auf sie. Ihr Haar war nass, sie hatte die Hand an
der Waffe in ihrer Tasche, und als sie bei ihm war, nahm sie die SW99 heraus.
»Sie gehen nirgendwohin, haben Sie mich verstanden?«
»Sie werden uns umbringen.«
»Wen, verdammt noch mal, meinen Sie damit?«, fragte sie gereizt.
»Orion«, sagte er. »Orion Solutions.«
»Und wer sind Sie?«
»Jamie Vergottini.«
Sie fuhren im Mercedes in die Stadt, nach Gardens, 78 Solan Street. Tinys Handy klingelte. »Mpayipheli«, meldete er sich.
»Es ist für Sie«, und reichte das Telefon an van Heerden weiter.
»Hallo.«
»Ich hab Vergottini«, sagte Hope.
|502| »Wo sind Sie?«
»Im Regen, in der Kloof Street, an der Ecke, beim Café Paradiso, und ich weiß, wer hinter allem steckt.«
»Venter?«
»Orion Solutions.«
»Ich weiß.«
»Sie wissen das?«
»Wir sind den Spuren gefolgt.«
»O’Grady ist tot, van Heerden.«
»Nougat?«
»Sie haben ihn erschossen, im Restaurant. Ich, wir … das ist eine lange Geschichte.«
»Wer hat ihn erschossen?«
»Das hab ich nicht gesehen, der Schuss kam von draußen. Vergottini sagt, der Schuss habe ihm gegolten. O’Grady ist aufgestanden,
um sich was zum Essen zu holen …«
»Mein Gott!«
»Was soll ich jetzt tun?«
»Warten Sie dort auf uns, wir sind auf dem De Waal Drive, in fünf Minuten sind wir dort. Sagen Sie mir den Straßennamen.«
»O’Grady ist tot«, sagte er zu Tiny Mpayipheli, als das Gespräch zu Ende war; das Handy zitterte in seiner Hand.
»Der fette Polizist?«
»Ja.«
»Jetzt fliegt uns die Scheiße richtig um die Ohren.«
»Er war ein guter Mann.«
Regen auf der Windschutzscheibe, der Wind blies vom Hafen herein, der Mercedes schlingerte, als sie auf dem De Waal Drive
über die Ausläufer des Berges fuhren.
|503| »Ein guter Polizist«, sagte van Heerden.
»Ich hab Sie beobachtet, als Sie im Apartment die Leiche durchsucht haben«, sagte Mpayipheli. »Sie haben ein weiches Herz.«
»Die Sache geht zu weit.«
»Warum sind Sie Polizist geworden?«
Er schüttelte den Kopf.
»Sie sind ein guter Mensch, van Heerden.«
Er sagte nichts. Er würde Mat Joubert anrufen müssen. Aber erst die Dollar.
Die Sache ging einfach zu weit.
|504| 54
Nonnie Nagel hatte am Nachmittag kurz nach fünf Uhr angerufen. »Er geht zu einer Konferenz wegen dieser Rotbandaffäre, er
hat mir gesagt, er würde nicht vor Mitternacht zu Hause sein. Um acht Uhr. Wir gehen aus.«
Wir gingen niemals aus. Wir waren entweder in Nagels Haus oder bei mir, aber wir gingen nie aus, weil wir fürchteten, jemand
könnte uns sehen. Unsere Liebe, unser Zusammensein war auf vier hermetisch geschlossene Wände beschränkt, doch wir hatten
uns mehr als drei Wochen lang nicht gesehen, und in ihrer Stimme lag Erregung, etwas Spielerisches, eine Skrupellosigkeit.
Ich wollte ablehnen, wir sollten nichts aufs Spiel setzen, doch die Sehnsucht war zu groß, die Möglichkeit, dass sie heute
Abend verkünden könnte, sie wäre bereit, ihn zu verlassen.
»Wohin?«, fragte ich, als sie zwei Straßenzüge vom Haus entfernt zu mir in den Wagen stieg.
»Erklär ich dir gleich.«
Ich wollte sie nach dem Grund fragen, warum heute Abend, warum gingen wir aus, was wäre, wenn wir zurückkehrten und er bereits
zu Hause war, aber ich sagte nichts, fuhr einfach los, sie hatte ihre Hand auf meinem Oberschenkel, in ihrem Gesicht das heimliche
Lächeln.
Eine Tanzhalle in Bellville, nicht weit von der Durban Road entfernt, kein Nachtclub, sondern ein Ballsaal, viele |505| Menschen, laute Musik, gedämpftes Licht. Es herrschte festliche Stimmung, sie sah wunderschön aus in ihrem einfachen weißen,
ärmellosen Kleid und den weißen Sandalen, und als wir hineingingen, nahm sie meinen Arm, und wir schritten durch den Saal,
sie warf den Kopf zurück und lachte, ihr tiefes Lachen voller Freude und Ausgelassenheit, und die Bässe der Lautsprecher wummerten
durch unsere Körper.
Ich war nie ein guter Tänzer. Meine Mutter hatte es mir im Wohnzimmer in Stilfontein beigebracht, aber auch sie war keine
Expertin. Ich kam ganz gut zurecht, ohne mich zum Narren zu machen.
An jenem Abend trug die Musik mich fort. Die erste Stunde blieben wir auf der Tanzfläche, eine Melodie nach der nächsten,
Pop aus den Siebzigern, Sechzigern, Achtzigern, Afrikaans-Rock.
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