Todes Kuss
als Meg mir zuflüsterte, Andrew stünde vor der Tür. Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn zu sehen, denn er hatte mir bei unserem letzten Treffen erklärt, seine vielen Pflichten ließen ihm im Moment kaum Zeit für private Unternehmungen. Natürlich war ich gespannt auf das, was er mir nun zu sagen hatte. Allerdings musste ich verhindern, dass er Cécile bei mir begegnete. Ich bat sie, sich ins Schlafzimmer zurückzuziehen.
„Erwarten Sie jemanden?“, fragte Andrew, als er Tee, Gebäck und Geschirr auf dem Tisch entdeckte.
Lächelnd streckte ich ihm die Hand entgegen, und er hauchte einen Kuss darauf. „Es ist mir gerade erst gelungen, einen ungebetenen Gast loszuwerden“, log ich. „Eine meiner französischen Bekannten hat mich unangemeldet aufgesucht. Bis eben hatte ich keine Ahnung, wie schlecht ihre Manieren sind …“
„Ich bin froh, Sie jetzt allein anzutreffen“, gab Andrew zurück. Er hatte sich zu mir aufs Sofa gesetzt und rutschte immer näher an mich heran. „Leider komme ich mit schlechten Nachrichten. Heute habe ich einen Brief von unserem Botschafter in Ägypten erhalten. Er teilt mir darin mit, dass der Engländer, der so lange in der Wildnis herumgeirrt sein soll, vor mehr als zwei Wochen in Kairo aufgetaucht ist. Es handelt sich um einen Missionar namens Thomas Tresham.“
Ich senkte den Kopf und schwieg. Das erschien mir klug, denn einerseits wollte ich meine Rolle als verunsicherte Witwe überzeugend spielen. Und andererseits war ich so verärgert, dass ich meiner Stimme nicht traute. Vor wenigen Stunden noch hatte ich mit Lord Lytton gesprochen, der in ständigem Kontakt zur Englischen Botschaft in Kairo stand, seit ich mit meiner Bitte um Unterstützung an ihn herangetreten war. Er hatte mir versichert, dass es keine zuverlässigen Neuigkeiten gäbe.
„Philip ist also tot“, murmelte ich schließlich.
„Das glaube ich auch, liebste Emily.“
Ich zweifelte nicht daran, dass Andrew in diesem Fall die Wahrheit sagte. Seltsam war nur, wie sehr seine Worte mich trafen. Es war fast, als erführe ich zum ersten Mal vom Tod meines Mannes. Nun blieb mir keine Hoffnung mehr, dass er jemals zurückkehren würde. Andrew hatte ein Gespinst aus Lügen entwickelt, weil es seinen eigenen Zielen diente. An meine Gefühle hatte er nicht einen einzigen Gedanken verwendet. Wann immer er hoffte, mich zur Ehe überreden zu können, erzählte er mir, Philip sei tot. Das machte mich wütend und traurig zugleich.
Doch beide Empfindungen durfte ich jetzt nicht zeigen. Also hob ich langsam den Kopf und lächelte Andrew an. „Werden Sie schlecht von mir denken, wenn ich Ihnen sage, dass ich erleichtert bin?“ In diesem Moment gestand ich mir ein, dass ich tatsächlich Erleichterung verspürt hatte, wie damals, als ich zum allerersten Mal von Philips Tod erfuhr.
„Keineswegs, denn ich verstehe Ihre Beweggründe sehr gut“, erklärte Andrew und griff nach meiner Hand. „Sie haben ihn lange genug betrauert, Emily. Die Zeit, sich einem Mann wie ihm in irgendeiner Form verpflichtet zu fühlen, ist längst vorbei.“
„Sie haben natürlich recht“, meinte ich mit einem tiefen Seufzer. „Einem Mann wie ihm bin ich nichts mehr schuldig. Ihnen jedoch, Andrew …“
Beruhigend drückte er mir die Hand. „Meine Liebe, auch mir sind Sie nichts schuldig.“ Dabei schaute er mich mit einem Blick an, der keinen Zweifel daran ließ, dass er glaubte, ich sei ihm auf ewig zu Dank verpflichtet. Dann rückte er noch näher an mich heran.
Ich sprang auf. „Ich möchte noch einmal Balzac zitieren. Ein äußerst kluger Gentleman, auch wenn er kein Engländer war! Wenn Frauen lieben, schreibt er, lieben sie uns mit all unseren Fehlern. Wenn sie uns jedoch nicht lieben, wissen sie nicht einmal unsere Stärken zu schätzen.“
Andrew hob fragend die Augenbrauen.
„Ich fürchte, meine Liebe zu Philip hat mich daran gehindert, Ihre Stärken zu erkennen, Andrew.“
„Und das hat sich nun geändert? Liebste Emily …“ Er stand auf und machte einen Schritt in meine Richtung.
Mir wurde ein wenig übel, doch ich wusste, dass ich jetzt nicht vor ihm zurückweichen durfte. „Ach, wenn ich an all die Gelegenheiten denke, die ich ungenutzt habe verstreichen lassen, weil …“ Meine Stimme zitterte, und mit einer theatralischen Geste legte ich mir die Hand auf die Stirn. „Die Enttäuschung über Philips Verhalten belastete mich sehr. Ich denke, ich werde so bald wie möglich nach Amerika reisen, um Margaret zu
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