Todes Kuss
bald mehr wissen. Diese Hoffnung bestätigte sich, als ich im Meurice die Antworten auf meine vier Briefe vorfand.
Am Nachmittag des folgenden Tages traf ich Andrew in der Eingangshalle des Hotels. Er legte mir den Arm um die Taille, was mir äußerst unangenehm war. Zum Glück hatte er selbst darum gebeten, unsere „Verlobung“ vorerst geheim zu halten. Darauf wies ich ihn lächelnd hin und bat ihn, mich loszulassen
„Es ist so schwer, Ihrer Anziehungskraft zu widerstehen“, schmeichelte er mir, gab sich aber damit zufrieden, mir den Arm zu reichen.
„Ist es nicht aufregend, dass wir beide eine Einladung von Monsieur Fournier erhalten haben?“, meinte ich. „Wer hätte gedacht, dass er ausgerechnet uns seine Kunstsammlung zeigen will? Bitte, verraten Sie ihm nicht, dass ich inzwischen den Ring besitze, der einst ihm gehört hat. Ich möchte so gern sein erstauntes Gesicht sehen, wenn ich ihm das Schmuckstück zeige.“
„Sie tragen den Ring doch jetzt nicht?“, vergewisserte Andrew sich und musterte besorgt meine in Handschuhen steckenden Finger.
„Natürlich nicht! Wir haben doch vereinbart, dass ich ihn erst dann in der Öffentlichkeit trage, wenn wir unsere Verlobung offiziell bekannt gegeben haben. Vorher werde ich ihn selbstverständlich auch Fournier nicht zeigen. Allerdings“, ich hob die Augenbrauen, „diese Heimlichtuerei beunruhigt mich ein wenig. Es ist Ihnen doch ernst mit Ihren Heiratsabsichten, Andrew?“
„Wie können Sie nur so etwas sagen!“, rief er entrüstet aus, um dann in leicht vorwurfsvollem Ton fortzufahren: „Wie sehr ich Sie liebe, erkennen Sie schon daran, dass ich Ihnen jeden Wunsch erfülle. Wahrhaftig, ich weiß nicht, wie es Ihnen gelungen ist, mich zu diesem Besuch bei Fournier zu überreden. Es wird bestimmt ein schrecklich langweiliger Nachmittag.“
„Aber nein“, widersprach ich. „Fournier soll wundervolle Kunstschätze besitzen.“
Ich hätte die kurze Strecke bis zu dessen Haus gern zu Fuß zurückgelegt. Doch Andrew bestand darauf, eine Droschke zu nehmen. Es gefiel mir nicht, mit ihm in der engen Kutsche eingesperrt zu sein. Als wir schließlich unser Ziel erreichten, atmete ich erleichtert auf.
„Wie seltsam, dass Sie so gar nichts von der Begeisterung Ihres Vaters für antike Objekte geerbt haben, Andrew“, bemerkte ich, während wir die Stufen zum Haupteingang des Hauses hinaufstiegen.
„Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass er mich schon mit Vorträgen über das alte Griechenland quälte, als ich noch ein kleiner Junge war. Auf jeden Fall verstehe ich nicht, was Sie an diesen Dingen so spannend finden. Wenn wir erst verheiratet sind, muss ich dafür sorgen, dass Sie andere Interessen entwickeln.“
Ich biss die Zähne zusammen, um nichts Unüberlegtes auf diese unverschämte Bemerkung zu antworten.
Da fuhr Andrew auch schon fort: „Ich fürchte, ich werde dieser Angelegenheit hier rasch überdrüssig werden. Um fünf bin ich übrigens mit Hargreaves zu einem Ausritt verabredet. Wenn der Besuch noch länger dauern sollte, muss ich mich vorzeitig verabschieden.“
„Sie beabsichtigen, mich mit Fournier und den Lyttons allein zu lassen? Das finde ich nicht nett!“ Gleichzeitig überlegte ich angestrengt, warum er sich wohl mit Colin treffen wollte.
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet. Und plötzlich überfiel mich eine entsetzliche Nervosität. Mein Herz schlug so laut, dass ich fürchtete, Andrew könnte es hören.
Wir wurden in den Raum geführt, in dem sich Fourniers Sammlung befand. Der Hausherr begrüßte uns freundlich und führte uns zu Lord und Lady Lytton, die auf einem schweren Ledersofa Platz genommen hatten. Sogleich erhob sich der englische Botschafter. Als er meine Hand an die Lippen zog, merkte ich, dass ich am ganzen Körper zitterte. Zum Glück schien das niemandem aufzufallen. Ich riss mich zusammen und wechselte ein paar höfliche Worte mit den Lyttons, während ich das kleine seidene Retikül, in dem ich den Ring aufbewahrte, mit der linken Hand krampfhaft festhielt.
„Sollen wir mit der Führung beginnen?“, fragte Fournier.
Seine Sammlung war umfangreicher und wertvoller als alles, was ich bisher in einem Privathaushalt gesehen hatte. Leider konnte ich die überwältigende Schönheit der Ausstellungsstücke nicht wirklich genießen. Dazu war ich viel zu aufgeregt. Allerdings fiel mir auf, dass Fournier sich, anders als Philip, nicht auf eine bestimmte Epoche oder ein bestimmtes Land spezialisiert
Weitere Kostenlose Bücher