Todes Kuss
sollte.“
„Ein Aufsatz über Achill und Alexander würde mich sehr interessieren!“
„Ach Emily!“ Liebevoll und spöttisch zugleich betrachtete er mein Gesicht. „Sie müssen sich unbedingt wieder mehr in der Gesellschaft bewegen, sonst werden Sie womöglich noch wunderlich. Ich fürchte, Sie haben bereits das Gespür dafür verloren, was um Sie herum vorgeht. Wahrscheinlich haben Sie sich einfach zu lange mit den alten Griechen beschäftigt.“
„Es gibt gar nicht so viele Unterschiede zwischen den alten Griechen und uns“, erklärte ich. „Insbesondere die Literatur und die Kunstwerke, die damals geschaffen wurden, sind auch für uns noch von Bedeutung. Hören Sie nur, was Homer schreibt!“ Ich griff nach Popes Übersetzung der Illias und begann laut zu lesen.
Andrew unterbrach mich augenblicklich. „Oh, bitte nicht! Muss ich Sie erst küssen, meine süße Emily, um Sie zum Schweigen zu bringen?“
Zwischen Zorn und Belustigung hin und her gerissen, legte ich das Buch aus der Hand und sagte: „Lassen Sie uns in der Bibliothek nachsehen, ob wir Philips Manuskript finden.“
Wir entdeckten es nicht. Doch bei der Suche in Philips Schreibtischschubladen fiel mein Blick auf ein kleines Blatt aus sehr festem Papier, das in die hinterste Ecke gerutscht war. „Große Gefahr!“ stand darauf.
„Es tut mir leid, Andrew“, stieß ich hervor. „Aber wir müssen jetzt Schluss machen. Ich werde später weitersuchen.“
„Fühlen Sie sich nicht wohl?“, fragte er besorgt.
„Doch, doch. Es ist alles in Ordnung.“
„Dann reiten Sie heute Nachmittag mit mir aus!“
„Das ist leider ganz unmöglich“, gab ich zurück und begleitete ihn zur Tür.
26. Juni 1887, Berkeley Square, London
Bin sehr ärgerlich, dass Fournier vor mir von einer römischen Kopie des Diskuswerfers von Praxiteles erfahren hat, die zum Verkauf stand. Hätte die Statue gern selbst erworben. Werde sie mir auf jeden Fall bei Fournier anschauen, wenn ich auf dem Weg nach Santorin in Paris Rast mache.
Habe Kallista beim Pferderennen in Ascot getroffen. Sie gab sich sehr zurückhaltend, aber ich denke, das ist nur auf ihre bezaubernde Unschuld zurückzuführen. Werde nicht aufgeben, ehe ich sie nicht erobert habe.
14. KAPITEL
Sobald ich allein war, verglich ich die kurze schriftliche Warnung mit derjenigen, die ich bereits vor meiner Reise nach Paris entdeckt hatte. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass beide von derselben Person geschrieben worden waren.
Ob ich unter Philips Schriftverkehr etwas fand, was Rückschlüsse auf den Verfasser zuließ? Ich begann, Briefe, Rechnungen und Notizen, die in seinem Schreibtisch lagen, zu untersuchen. Doch nirgends entdeckte ich Notizen in der gleichen Handschrift. Auch gab es nichts, was erklärt hätte, wodurch Philip sich in Gefahr gebracht haben könnte.
Davis erschien und teilte mir mit, dass der Lunch serviert werden könne. Nachdem ich ein leichtes Mittagsmahl zu mir genommen hatte, begab ich mich nach oben, um mich umzuziehen. Ich wählte ein elegantes Nachmittagskleid und ein dazu passendes Jäckchen. Dann setzte ich ein schwarzes, aber sehr reizvoll gearbeitetes Hütchen auf und begab mich in die Eingangshalle, wo ich auf Davis stieß.
„Mylady“, er verbeugte sich tief, „ich muss Ihnen eine Mitteilung machen. Es tut mir aufrichtig leid. Eines der Hausmädchen hat beim Putzen die Apollo-Büste heruntergeworfen und beschädigt. Man kann sie aber reparieren, denke ich.“
„Seien Sie nicht zu streng mit dem Mädchen. Bei meinem Apollo handelte es sich ja nur um die Kopie eines griechischen Kunstwerks.“ Damit verließ ich das Haus.
Ich war noch nicht weit gegangen, als ich Colin Hargreaves bemerkte, der mit großen Schritten auf mich zukam.
Er begrüßte mich freundlich und stellte bedauernd fest: „Schade, dass Sie etwas vorhaben. Ich hatte gehofft, Sie zu Hause anzutreffen.“
„Ich bin unterwegs zum British Museum und werde wohl erst gegen Abend zurück sein.“
„Sie haben doch nicht etwa vor, den Weg dorthin zu Fuß zurückzulegen?“
„Es ist ein Tag wie geschaffen für einen Spaziergang, finden Sie nicht? Wer weiß, wann das Wetter umschlägt.“
„Es gibt da etwas, über das ich dringend mit Ihnen sprechen möchte. Darf ich Sie begleiten?“
„Gern.“
Er reichte mir den Arm, und wir gingen gemächlich weiter. Meine Haut begann da, wo Colin sie berührte, zu kribbeln, wie es schon einige Male passiert war. Unwillkürlich huschte ein Lächeln
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