Todes Kuss
ausgetrunken hatte, zog er sich mit einer Entschuldigung in sein Zelt zurück.“
„So hatte ich mir das Leben in der Wildnis nicht vorgestellt“, bemerkte Ivy. „Champagner!“
„Die Palmers haben immer versucht, sich möglichst viele Annehmlichkeiten und einen gewissen Komfort zu erhalten, egal wo sie sich befanden. Für uns war das natürlich ausgesprochen vorteilhaft. Doch die einheimischen Träger haben manchmal sehr gelitten.“ Colin trat ans Fenster und blickte einen Moment, tief in Gedanken versunken, hinaus. „Ich habe nicht gleich begriffen, wie krank Philip war. Daher blieb ich bei den anderen, trank noch ein weiteres Glas und unterhielt mich mit ihnen. Als ich später mein Zelt betrat, hörte ich, wie Philip in dem seinen im Schlaf redete. Ich beschloss, nach ihm zu schauen, und sah sofort, dass er fieberte.“
Ivy und ich wechselten einen Blick.
„Ich blieb bei ihm. Bis zum Morgen hatte sein Zustand sich weiter verschlechtert. Daher hielt ich es für richtig, die anderen zu warnen. Wir kamen überein, dass sie sich keiner unnötigen Gefahr aussetzen sollten. Innerhalb kürzester Zeit verließen sie das Lager. Ich wich nicht von Philips Seite. Er litt unter Schmerzen, konnte weder essen noch trinken. Doch noch war er bei klarem Bewusstsein. Er verspürte das Bedürfnis, von Ihnen zu reden, fragte sich immer wieder, wie es Ihnen wohl gehe. Schließlich entschloss ich mich, ihm Ihre Briefe vorzulesen, um ihn ein wenig zu beruhigen.“
Welch unangenehme Vorstellung! Da ich nur aus einem Gefühl der Pflicht heraus an Philip geschrieben hatte, enthielten meine Briefe kaum ein liebes Wort. Ich hatte ihm von meinem alltäglichen Leben berichtet und ihm die letzten Neuigkeiten über seine Neffen und Nichten mitgeteilt. Wie hätten diese Zeilen ihn trösten können?
„Ich kann mich nicht mehr an den Inhalt Ihrer Briefe erinnern“, behauptete Colin nun. „Ich war so erschöpft. In der Nacht hatte ich kein Auge zugetan. Und ich war in größter Sorge um meinen Freund. Wir wussten beide, dass er kaum eine Chance hatte, die Krankheit zu überstehen. Philip wehrte sich zunächst heftig gegen den Tod. Doch irgendwann fand er sich mit seinem Schicksal ab. Zu diesem Zeitpunkt nahm er mir das Versprechen ab, dafür zu sorgen, dass Sie die Villa auf Santorin kennenlernen. Dann begann sein Geist sich zu verwirren. Er glaubte, Sie seien bei ihm. Er sprach mit Ihnen, wobei er Sie immer Kallista nannte.“
Colin sah jetzt sehr traurig aus.
„Es waren die schlimmsten Stunden meines Lebens“, schloss er. „Philip hielt meine Hand umklammert, als er starb.“
Da ich keine falschen Beschuldigungen aussprechen wollte, meinte ich: „Sie könnten die Situation falsch eingeschätzt haben, Colin. Sie sind kein Arzt.“
Hargreaves bemühte sich sichtlich um Geduld. „Wenn Ihr Gemahl tatsächlich noch leben würde, dann hätte er doch gewiss an Sie und nicht an Palmer geschrieben.“
Das stimmt, sagte mir mein Verstand. Doch gefühlsmäßig wollte ich unbedingt, dass Philip die Krankheit irgendwie überstanden hatte. „Wir wissen nicht, was geschehen ist. Möglicherweise hat er infolge des Fiebers das Gedächtnis verloren.“
„Es ist ganz ausgeschlossen, dass Philip noch lebt. Was diesen Brief betrifft … Wer weiß, ob er nicht monatelang in irgendeinem Postsack gelegen hat. Ich wünschte, er hätte England nie erreicht. Niemand sollte den Verlust eines geliebten Menschen zweimal betrauern müssen.“
Ich hob den Kopf und schaute Colin in die Augen. Seine letzte Bemerkung hatte mich davon überzeugt, dass er log. Bestimmt wusste er, dass ich damals nicht wirklich um meinen Mann getrauert hatte. „Als Philips bester Freund sollten Sie eigentlich auf dem Weg nach Afrika sein“, rief ich aus.
„Ich wäre der Erste, der ihm zu Hilfe eilen würde. Aber er ist tot.“
Ein offener Streit hätte niemandem geholfen. Also bat ich Colin, uns allein zu lassen. Er verabschiedete sich sogleich. Woraufhin Ivy und ich eifrig über das Gehörte zu diskutieren begannen.
„Dieser Brief aus Kairo hat Hargreaves jedenfalls nicht aus dem Gleichgewicht gebracht“, stellte meine Freundin abschließend fest. „Wenn er tatsächlich Schuld auf sich geladen hat, dann weiß er sein schlechtes Gewissen geschickt zu verbergen.“
„Sein übersteigertes Selbstvertrauen wird ihm zum Verhängnis werden“, prophezeite ich.
5. Oktober 1887, Grand Hotel d’Angleterre, Athen
Vardakas hat mich mit Pavlos Forakis bekannt gemacht,
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