Todes Kuss
jenem Händler, der ihm die wertvollsten Objekte verkauft hat. Forakis behauptet, er könne auch mir einige wunderschöne antike Kunstwerke besorgen. Weiß noch nicht, wie ich mich verhalten soll. Es ist auch eine moralische Frage.
22. KAPITEL
„Ich möchte wirklich wissen, woran du denkst“, rief Margaret aus. „Noch nie habe ich erlebt, dass du so wenig bei der Sache bist.“
Wir saßen in der Bibliothek. Und tatsächlich fiel es mir schwer, mich auf unser Gespräch über Homer zu konzentrieren.
„Gerade hast du mir zugestimmt, als ich behauptete, niemand habe so viel Bewunderung verdient wie Achill.“
„Oh! Entschuldige, Margaret. Meine Gedanken schweifen immer wieder ab.“
„Aber warum? Was ist geschehen?“
„Nichts. Es liegt wohl einfach daran, dass Philip mir fehlt. Vermutlich verwende ich zu viel Zeit darauf, mir vorzustellen, wie unser gemeinsames Leben hätte aussehen können.“ Ich fühlte mich ein wenig schuldig, weil ich meine Freundin anschwindelte. Doch ich konnte mich einfach nicht dazu überwinden, der stets so vernünftigen Margaret zu gestehen, was in mir vorging. Sie hätte gewiss nicht verstanden, warum ich plötzlich annahm, Philip könne noch leben. Bestimmt hätte sie mir all das aufgezählt, was gegen diese Annahme sprach. Genau das wollte ich vermeiden.
„Es ist gewiss nicht leicht, so jung Witwe zu werden. Trotzdem ist es am besten, wenn du dich ein für alle Mal mit der Situation abfindest, Emily. Nach allem, was ich über Philip weiß, war er ein typischer englischer Gentleman, zuvorkommend, jagdbegeistert und in seiner Beziehung zu Frauen überhaupt nicht fortschrittlich eingestellt. Wahrscheinlich hätte es ihm nicht gefallen, dass seine Gemahlin sich mit solchem Eifer in das Studium der Antike vertieft.“
„Vielleicht …“
„Nimm es mir nicht übel, Emily, aber ich bin nun einmal davon überzeugt, dass du dich in der gleichen Lage wie Ivy befändest, wenn Philip noch unter den Lebenden weilen würde.“
„Was sollte schlecht daran sein?“
„Nichts. Jedenfalls nicht für Ivy. Sie fühlt sich wohl in ihrer Rolle. Du hingegen wärest unzufrieden. Früher oder später hättest du begonnen, dich nach geistiger Freiheit zu sehnen. Du hättest deinen Horizont erweitern wollen. Und Philip wäre schockiert darüber gewesen, eine Frau mit einer eigenen Meinung geheiratet zu haben. Oder kannst du guten Gewissens behaupten, er sei so ganz anders als Mr Brandon gewesen?“
„Ich weiß es nicht“, seufzte ich.
„Sei nicht so melancholisch! Die Beschäftigung mit Homer wird dich aufmuntern. Denk an Hektor! Die Last, die du trägst, ist bestimmt nicht schwerer als die seine.“
Ich lächelte und versuchte erneut, mich auf die Ilias zu konzentrieren. Diesmal gelang es mir, mich in der Schönheit der poetischen Sprache zu verlieren. Ach, wie ich den Rhythmus dieser Verse, den Klang dieser Sätze liebte! Ich hörte kaum, wie Davis eintrat.
„Mr Attewater wünscht, mit Ihnen über den Auftrag zu sprechen, den Sie ihm erteilt haben“, sagte er.
„Führen Sie ihn herein!“
Ich freute mich, den Künstler zu sehen, und ließ mir von ihm die Entwürfe zeigen, die er angefertigt hatte. Gleichzeitig allerdings unterzog ich das Papier, auf dem er die Zeichnungen angefertigt hatte, einer eingehenden Prüfung. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Es war von ungewöhnlich guter Qualität, fest und schwer. „Wie schön“, sagte ich, „dass Sie bereits mit der Arbeit begonnen haben.“
„Ich bin ein sehr beschäftigter Mann“, erwiderte er. „Doch Sie, Lady Ashton, sind im Moment meine wichtigste Kundin. Es liegt mir viel daran, Sie zufriedenzustellen. Am liebsten würde ich eine Statue der Aphrodite für Sie schaffen, denn die Schönheit dieser Göttin erinnert mich an die Ihre.“
„Sie brauchen mir nicht zu schmeicheln, Mr Attewater.“
„Darf ich Ihnen versichern, Mylady, dass jedes Kompliment, das mir über die Lippen kommt, ganz und gar ehrlich gemeint ist!“ Er straffte die Schultern und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Trotzdem musste er noch zu mir aufschauen. „Ich bin ein Mann mit Prinzipien“, erklärte er.
Seine Bemerkung brachte mich zum Lachen. Sogleich entschuldigte ich mich.
Attewater reagierte erstaunlich verständnisvoll. „Ich weiß um die Widersprüche zwischen meiner äußeren Erscheinung und meinem Charakter. Doch möchte ich Sie noch einmal daran erinnern, dass ich meinen moralischen Ansprüchen nur ein einziges Mal
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