Todesahnung: Thriller (German Edition)
sagt, jetzt gebe es noch einen Grund mehr, warum ich mich von ihm aushalten und mir eine Wohnung kaufen lassen sollte.
Auf keinen Fall!
Unter dem arktischen Nieselregen bibbernd, nehme ich die kürzeste Dusche der Welt.
Ich ziehe mich an, schütte etwas O-Saft in mich hinein, während ich auf einem Energieriegel kaue, und mache eine kurze Bestandsaufnahme in meiner Umhängetasche, bevor ich zur Tür gehe. Es ist alles da - Brieftasche, Schlüssel, Mobiltelefon und das einzige Ding, das ich wirklich ständig mit mir herumtrage: meine Leica.
Auf der Second Avenue komme ich an der Ecke zur 46th Street wie immer an dem überladenen Zeitungskiosk vorbei. Er ist vom Bürgersteig bis an die Decke mit allen erdenklichen Zeitschriften plakatiert. Ich blicke auf die makellosen Gesichter der Promis und Supermodels. Guten Morgen, Brad. Guten Morgen, Leo, Gisele und Angelina.
Komisch, dass die meisten Leute ein Star sein wollen. Ich will sie nur fotografieren.
Das ist mein Traum, den ich laut meinem Agenten und ein paar großen Redakteuren bereits sehr gut in die Tat umsetze. Und hoffentlich auch nach Ansicht der Leute von der Abbott Show, der Prestigegalerie, wo meine Arbeiten schon in die engere Auswahl gekommen sind. Doch bis mein Traum wahr wird - bis ich mir einen Namen gemacht habe und eben jene Promis »Holt mir Kristin Burns!« rufen, damit ich sie für das Titelblatt der Vanity Fair fotografiere -, gehe ich weiter.
Zu meiner Arbeitsstelle als Kindermädchen.
Ich gehe bis zur Third Avenue und von dort fünf Straßenblocks hinauf zur Lexington Avenue. Nach weiteren fünf Blocks biege ich in die Querstraße zur Park Avenue ab. Diesen Zickzackkurs vollführe ich jeden Morgen. Ich weiß nicht, warum. Einfach so. Oder vielleicht weiß ich, warum, und tue es trotzdem.
Normalerweise mache ich unterwegs Bilder, fange die Gesichter der Drohnen auf ihrem Weg zur Arbeit ein, während ich versuche zu verdrängen, dass ich eine von ihnen bin. Zu dieser frühen Stunde sind auf den Bürgersteigen nicht viele glückliche Menschen zu sehen. Eher Müdigkeit, Angst und eine gehörige Portion Langeweile.
Das ist natürlich genau das, was gut auf Fotos kommt. Ich meine, wann hat zum letzten Mal ein Lächeln den Pulitzer-Preis gewonnen?
Doch nach dem, was ich an diesem Morgen schon erlebt habe, beschließe ich, die Kamera in meiner Tasche zu lassen. Ich bin etwas geistesabwesend, etwas benebelt sozusagen, anders als der strahlend blaue Himmel Mitte Mai, der den Menschen Lebensfreude schenkt.
Also hole ich tief Luft. Hör auf damit, Kristin, schimpfe ich. Eine Weile funktioniert das sogar.
Bis ich um die Ecke auf die Madison Avenue biege.
Und schreie.
Nicht nur mal kurz.
Ich schreie mir die Lunge aus dem Hals.
5
O mein Gott. O mein Gott! Polizeiautos, Krankenwagen, umherwirbelnde rote und blaue Lichter.
Das ist doch nicht möglich! Aber es ist alles da. Außerdem hängt ein widerlicher Geruch in der Luft, als würde es irgendwo brennen.
Die Menschenmenge steht vor demselben Hotel, und Rolltragen werden aus dem Eingang geschoben.
Das gibt’s doch nicht! Das ist doch ganz unmöglich!
Aber es ist so.
Mein Albtraum … ist Realität!
Alles ist genauso, wie ich es geträumt habe. Auch die Menschen, der Geschäftsmann im Nadelstreifenanzug, der Fahrradkurier, die Mutter mit Kinderwagen - sie alle beobachten den Tatort.
Doch dieser Geruch ist neu. Woher könnte er stammen?
Ich schließe die Augen und kneife sie fest zu, als wollte ich mein Gehirn neu starten. Ist das Realität oder Traum?
Ja, es ist alles real, bis ins kleinste, wahnsinnige Detail!
Ich blinzle und stelle fest, dass ich immer noch an der Ecke 68th Street und Madison Avenue vor dem Falcon Hotel stehe. Ausgerechnet vor dem Falcon.
Ich möchte fortlaufen. Ich weiß, das wäre gut. Stattdessen greife ich zu meiner Kamera.
Denk nicht nach, drück einfach ab. Aber ich denke nach.
Während mein Finger ununterbrochen auf den Auslöser drückt, denke ich, das hier kann doch nicht möglich sein, und je mehr ich das denke, desto genauer weiß ich, dass ich weiterknipsen muss.
Ich brauche Beweise.
Der gleiche Sog wie der in meinem Traum erfasst mich und zieht mich immer näher zum Eingang des Falcon. Ich blicke hinauf zu den Fenstern und den umliegenden Häusern und sehe die Frau mit Lockenwicklern, die von ihrem Bagel abbeißt.
Klick, klick, klick.
Mein Herz pocht, es pocht wie eine Trommel in meiner Brust.
Ich blicke auf
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