Todesahnung: Thriller (German Edition)
tanzen lebhaft und vollkommen durcheinander durch meinen Kopf. New Yorker hassen mehr als sonst jemand Dinge, die sie rational nicht erklären können. Das gilt für nicht eingeborene New Yorker genauso. Für jemanden wie mich.
»Miss Kristin, ist alles in Ordnung?«
Diesmal ist es nicht Sean, der fragt, sondern Dakota. Sie ist nicht nur viel zu reif für ihr Alter, sie kann, glaube ich, auch Gedanken lesen.
»Alles bestens, Schatz. Warum fragst du?«
»Weil Sie heute besonders fest zudrücken.«
Ich blicke nach unten, wo ich Dakotas Hand festhalte. Die Haut über meinen Knöcheln schimmert weiß. Genauso wie bei der Hand, mit der ich Seans umklammere.
»Tut mir leid.« Ich lockere den Griff. »Ich halte euch wohl so fest, weil ich euch nie wieder loslassen will.«
»Bei mir dürfen Sie das«, erwidert Sean unbekümmert.
Wir gehen weiter, während ich versuche, all die bösen Bilder aus meinem Kopf zu verbannen, was aber fast unmöglich ist. Ein heulender Krankenwagen fährt an uns vorbei, und es ist, als würde ich alles noch einmal vor mir sehen. Die Leichensäcke, den Reißverschluss …
Die blutverschmierte Hand der Frau.
»Miss Kristin, Sie tun es schon wieder«, ermahnt mich Dakota, die versucht, ihre Finger frei zu bekommen.
»Ja«, sagt Sean. »Wie mein G. I. Joe mit seinem Kung-Fu-Griff.«
Ein paar Minuten später erreichen wir die Madison Avenue Ecke 64th Street und das imposante schmiedeeiserne Tor der Preston Academy, wo ich mich hinknie, um Sean und Dakota einen Abschiedskuss zu geben. »Ich wünsche euch einen wunderschönen Tag, meine Engel.«
»Ihnen auch einen wunderschönen Tag, Miss Kristin«, zirpt Sean.
Dakota blickt mir in die Augen. »Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist?«
»Ich bin mir sicher«, antworte ich.
Was natürlich nicht stimmt.
Ich zwinkere den Kindern zu, sie zwinkern zurück. Auch sie haben dieses umwerfende Zwinkern.
Die Kinder preschen los und marschieren mit ihren Klassenkameraden die Treppe zur Schule hinauf. Sie sehen so glücklich aus, so sorgenfrei.
So unschuldig.
10
Das Beste an meiner Arbeit verschwindet gerade durch die Eingangstür der Preston Academy. Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als zum Schlimmsten zurückzugehen.
Zu Penley.
Zu ihr und dem, was sie gern »leichte Hausarbeiten« oder manchmal »Ordnunghalten« nennt.
Während die Kinder in der Schule sind, hält mich Penley mit ihren Aufgaben auf Trab. Sagen wir, angesichts ihrer Ordnungssucht muss diese Frau äußerst analfixiert sein. Letzte Woche bestand sie darauf, dass ich beim Aufräumen der Speisekammer die Suppendosen alphabetisch ordne.
Um die »schweren Hausarbeiten« - Betten beziehen, waschen und bügeln, Badezimmer putzen und so weiter - kümmert sich das Hausmädchen Maria, das zweimal die Woche kommt. Ich finde Maria toll. Sie stammt aus Morelia in Mexiko und arbeitet unheimlich hart, ohne ihr wunderbares Lächeln zu verlieren. Dass sie mit Penley und deren bissigem Mundwerk so gut zurechtkommt, liegt wohl daran, dass sie der englischen Sprache nicht sehr mächtig ist.
Ich wiederum verstehe die vielen lächerlichen, erniedrigenden Dinge, die mir Penley täglich vor den Latz knallt, sehr gut.
In die Penthousewohnung zurückzueilen, nachdem ich Dakota und Sean in der Schule abgeliefert habe, übt nur eine geringe Anziehungskraft auf mich aus. Ich ziehe es vor, mir Zeit zu lassen. Der heutige Tag stellt keine Ausnahme dar. Da ich mir auf das, was passiert ist oder passiert zu sein scheint, keinen Reim machen kann, versuche ich, meine Gedanken auf irgendetwas anderes zu lenken.
Ich schlendere die Madison Avenue entlang. Das Sonnenlicht ist perfekt, und es überkommt mich wieder der Drang, Bilder zu schießen. Im gleichen Moment, in dem ich nach meiner Kamera greife, steigt mein Puls.
Während ich den Deckel vom Objektiv nehme, muss ich an Michael denken. Wenn er nicht versucht, mich zu einer hübscheren Wohnung zu überreden, bietet er mir Starthilfe für meine Karriere an, indem er mir meine eigene Galerie finanzieren oder mir einen Fotoauftrag bei einem Prestigemagazin vermitteln will. Aber beides lasse ich nicht zu. Für mich ist wichtig, mein Leben allein zu meistern, selbst wenn ich dabei kaum über die Runden komme und mich von einem Monatslohn zum anderen mogle. Ja, ich bin völlig verrückt. Ich gestatte Michael nur, mich zum Abendessen einzuladen oder mir irgendwelche lustige Sachen zu kaufen, aber ich möchte nie das Gefühl
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