Todesakt: Thriller (German Edition)
haben?«, fragte Lena.
Hight verschränkte die Arme vor der Brust und zuckte die Achseln.
Lena trat einen Schritt näher an ihn heran. »Wann haben Sie Jacob Gant zuletzt gesehen?«
»Nicht mehr seit der Gerichtsverhandlung«, erwiderte er. »Seit er als freier Mann aus dem Gerichtssaal spaziert ist.«
»Erwarten Sie, dass Ihnen das jemand glaubt?«
»Die Leute glauben, was sie glauben wollen. Sie sind wahrscheinlich auch nicht anders. Ich habe ihn nicht gesehen.«
»Aber er hat nebenan gewohnt, Mr Hight.«
»Dann war er eben nicht da. Vielleicht hatte er einen Job gefunden. Vielleicht habe ich ja auch nicht hingeschaut, weil ich ihn nicht sehen wollte.«
Lena musterte die Nikotinflecken an Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. Als Hight es bemerkte, versteckte er die Hand in der Armbeuge.
»Wie viele Zigaretten rauchen Sie pro Tag? Wie viel Zeit verbringen Sie im Wintergarten? Wie oft sitzen Sie in diesem Sessel am Fenster im Dunkeln?«
Als Hight nichts erwiderte, breitete sich Stille aus. Lena umrundete den Tisch. Als sie an der Tür zur Speisekammer vorbeikam, bemerkte sie die Bleistiftstriche auf der Innenseite der Tür. Neben jedem Strich stand ein Datum. Monate und Tage waren stets gleich, nur das Jahr änderte sich. Diese Striche markierten Lily Hights Körpergröße, jedes Jahr gemessen an ihrem Geburtstag.
Ein Gefühl von Düsternis machte sich in Lena breit. Sie verspürte einen plötzlichen Stich. Seine Tochter war an ihrem sechzehnten Geburtstag eins siebzig groß gewesen. An ihrem letzten Geburtstag.
Sie drehte sich wieder zu Hight um, der sie eindringlich musterte. Lena betrachtete ihn, wie er da auf seinem Stuhl saß. Er wirkte gebrochen, aber nicht bedrohlich – wie ein Mann, der in den Abgrund geblickt und das Gleichgewicht verloren hatte und hineingefallen war.
»Warum haben Sie Angst vor einem Lügendetektortest?«, fragte sie, diesmal mit sanfterer Stimme. »Warum tun Sie sich das alles an, obwohl Sie sich von jeglichem Verdacht reinwaschen und weiterleben könnten?«
Hight hatte sich abgewandt und richtete die Augen auf den hellen Sonnenstrahl, der durch das Fenster über der Spüle hereinfiel. Der Wasserhahn aus poliertem Messing und das weiße Porzellanbecken funkelten und glänzten so, dass seine leichenblasse Haut beinahe schimmerte.
»Weiterleben?«, flüsterte er, mehr an sich selbst als an die anderen Anwesenden gerichtet. »Sie haben ja keine Ahnung, wie das ist. Anderenfalls wären Sie nämlich nicht hier und würden mir so etwas antun. Auf solche Leute wie Sie habe ich vertraut, habe ich mich verlassen. Sie sollten mir zu Gerecht…« Hights Stimme erstarb, und er schien zu sprechen wie in Trance. »Ich weigere mich. Ich mache keinen Lügendetektortest, weil nichts im Leben sicher ist. Und weil ich mich darüber freue, dass es Jacob Gant letzte Nacht erwischt hat. Ich habe es mir gewünscht. Immer wieder habe ich davon geträumt. Lily ist tot. Sie ist tot, und ich wollte, dass er auch stirbt. Ich bin froh darüber. Nur schade, dass nach dem Tod nichts mehr kommt. Dass es nichts Schlimmeres gibt als den Tod.«
Seine Stimme zitterte. Lena wechselte einen Blick mit Barrera und Mifune, während sie daran dachte, wie Jacob Gant ermordet worden war. An die beiden Schüsse in die Augen. Die Wut, die im Täter getobt haben musste. Die Verbitterung und den Hass, abgefeuert aus dem Lauf einer Pistole.
Zahltag.
Hight starrte sie an. In seinen geweiteten Augen stand ein wilder Ausdruck. Als er, im Versuch, sich zu beruhigen, die Hände in den Schoß sinken ließ, bemerkte Lena einen Verband an seiner linken Hand. Blut sickerte heraus. Hight hatte sich verletzt – und versuchte, es zu verbergen.
Als jemand an die Küchentür klopfte, war der Moment verflogen. John Street winkte Lena ins Wohnzimmer. Hinter ihm sah sie seinen Partner. Sie gesellte sich zu den beiden ans Fenster neben dem Stutzflügel. Carson hatte etwas in der Hand: einen Asservatenbeutel aus Plastik, der ein einziges Blatt gelbes Papier enthielt. Die beiden Detectives waren Hünen und erfahrene Polizisten und neigten nicht dazu, sich ihre Gefühle anmerken zu lassen. Doch heute war alles anders.
Nachdem Carson durch die offene Tür einen Blick auf Hight geworfen hatte, reichte er Lena den Beutel.
»Das ist eine Quittung für eine Pistole«, sagte er leise. »Eine Smith & Wesson, neun Millimeter, Lena. Schauen Sie sich die Adresse des Händlers an.«
Carson zog die Jalousie hoch, worauf Lena die Quittung
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