Todesangst
den Herzspezialisten, der den Fall schon kannte, zu kommen. Obwohl er die sofortige Verabreichung von gerinnungshemmenden Mitteln erwog, entschied er sich, damit noch bis zum Eintreffen seines Kollegen aus der Neurologie zu warten. In der Zwischenzeit gab er erst einmal Aspirin und Persantin, um die Gefahr eines Aneinanderklebens der Blutplättchen zu verringern. Das Auftreten von Schlaganfällen war eine bedenkliche Entwicklung und ein sehr schlechtes Zeichen.
Dr. Howard brachte den Rest seines Rundgangs rasch hinter sich und wollte sich gerade auf den Nachhauseweg machen, um noch zu ein paar dringend benötigten Stunden Schlaf zu kommen, als er von der Notaufnahme wegen einer Patientin angepiepst wurde. Keuchend und vor sich hin fluchend, rannte er nach unten und gab sich der Hoffnung hin, daß das Problem, worum immer es sich handeln mochte, kurz und schmerzlos zu lösen sei. Aber leider zeigte sich rasch, daß damit keineswegs zu rechnen war.
Als er atemlos im Behandlungsraum ankam, stieß er dort auf eine Gruppe von Mitarbeitern, die sich um die kardiopulmonale Wiederbelebung einer im Koma liegenden Frau bemühten. Ein rascher Blick auf den EKG-Monitor zeigte ihm, daß die Herztätigkeit völlig zum Erliegen gekommen war.
Dr. Howard trat zu Judith Reinhart, die ihm berichtete, die Patientin sei bewußtlos von ihrem Mann gefunden worden, als er sie am Morgen hatte aufwecken wollen.
»Haben die Geräte irgendeine Herz- oder Atmungstätigkeit angezeigt?«
»Nein«, antwortete die Schwester. »Ich würde behaupten, daß sie bereits kalt ist.«
Howard legte eine Hand auf das Bein der Frau und mußte Judith Reinhart zustimmen. Ihr Gesicht war abgewandt, so daß er sie nicht erkennen konnte.
»Wie ist der Name der Patientin?« fragte er und wappnete sich unbewußt gegen den Schlag.
»Holly Jennings.«
Er fühlte sich, als ob er einen heftigen Schlag in die Magengrube bekommen hätte. »Mein Gott!« murmelte er.
»Sind Sie soweit in Ordnung?« fragte die Schwester besorgt.
Dr. Howard nickte, doch bestand er weit über jede vernünftige Zeit hinaus darauf, die Wiederbelebungsbemühungen fortzusetzen. Mit Problemen hatte er gerechnet, als er am Donnerstag die Frau untersucht hatte - aber mit etwas Derartigem nun doch nicht. Er war nicht bereit, die Tatsache einfach hinzunehmen, daß Holly Jennings - ganz wie Cedric Harring - innerhalb eines Monats gestorben war, nachdem ihre am GHP-Krankenhaus durchgeführte umfassende Untersuchung ihr einen ordentlichen Gesundheitszustand bestätigt hatte. Und zwei Tage, nachdem er sie erneut untersucht hatte!
Verunsichert griff Howard zum Telefon und rief Margaret Danforth an.
»Schon wieder einmal kein normaler Herztod?« fragte sie.
»So ist es.«
»Was macht ihr bloß dort«, sagte sie.
Dr. Howard ging nicht darauf ein. Er wollte von ihr eine Ausnahmegenehmigung haben, um die Autopsie am GHP-Krankenhaus selbst vornehmen zu lassen, aber diesmal zögerte sie.
»Wir machen es noch heute«, versicherte Dr. Howard ihr, »Anfang nächster Woche haben Sie den Bericht.«
Dr. Danforth hatte ihre Entscheidung getroffen und antwortete: »Nein, es tut mir leid. Mir gehen da ein paar Fragen im Kopf herum, und ich halte mich für verpflichtet, die Obduktion von Gesetzes wegen hier durchzuführen.«
»Na gut, ich habe Verständnis dafür. Aber ich darf doch wohl davon ausgehen, daß Sie uns Gewebeproben überlassen, damit wir sie wieder hier präparieren können.«
»Nun, das wird wohl gehen«, gestand sie ohne große Begeisterung zu. »Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht mal so sicher, ob das im Rahmen der Vorschriften liegt. Ich muß das noch überprüfen. Ich hatte neulich einfach keine Lust, vierzehn Tage auf die Schnittpräparate zu warten.«
Dr. Howard fuhr nach Hause und legte sich schleunigst ins Bett. Nach vier Stunden wurde er aus tiefem Schlaf gerissen durch einen Anruf des Neurologen, der sich um Cowen gekümmert hatte. Er wollte ihm weiter gerinnungshemmende Mittel geben und ein Schädelcomputertomogramm durchführen. Howard bat ihn, das zu tun, was er für das Vernünftigste hielt, und nichts unversucht zu lassen.
Anschließend versuchte er, nochmals einzuschlafen, aber vergebens. Er fühlte sich erschreckt und geschockt; schließlich stand er auf. Es war ein trüber Spätherbsttag mit einem leichten Nieselregen, und Boston wirkte ziemlich düster. Er mußte mit deprimierter Stimmung kämpfen und lief in seiner Wohnung auf und ab, wobei er sich überlegte, was
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