Todesangst
einziger weiterer Kommentar, den ich behalten habe, war, daß ich sie - vorausgesetzt, alles liefe gut - zu schätzen wissen würde, weil ich schön sei. Das genau waren seine Worte.«
»Er hat das nicht weiter ausgeführt?«
»Das war alles, was er sagte.«
Der Arzt nahm ein Schlückchen von seinem Cappuccino und starrte dem Mädchen ins Gesicht. Was konnte eine ›paradoxe‹ Entdeckung ihrer Schönheit nützen? Sein Hirn arbeitete daran, diese Äußerung in Übereinstimmung zu bringen mit seiner eigenen Einschätzung, daß Hayes’ Entdeckung etwas mit der Heilung von Krebs zu tun haben müsse. Doch es gelang ihm nicht.
Carol Donner trank ihren Tee aus und erhob sich. »Es war nett, daß wir uns kennengelernt haben«, sagte sie und streckte ihm die Hand hin.
Der Arzt sprang auf und mußte rasch nach seinem Stuhl greifen, um diesen am Umfallen zu hindern. Er war von ihrem plötzlichen Aufbruch überrascht.
»Ich möchte nicht unhöflich sein«, erläuterte sie, »aber ich habe eine Verabredung. Ich hoffe, daß Sie dem Rätsel auf die Spur kommen. Alvin war ein verbissener Arbeiter. Es wäre eine Tragödie, wenn er eine entscheidende Entdeckung gemacht hätte und diese verlorenginge.«
»Das ist auch ganz meine Meinung«, sagte Dr. Howard, außer sich darüber, daß sie ihm nun wieder entwischte. »Können wir uns nochmals treffen? Es gibt so vieles, was ich mit Ihnen noch besprechen müßte.«
»Ich denke schon, aber im Augenblick bin ich wirklich furchtbar in Eile. Wann dachten Sie denn?«
»Wie wäre es morgen?« schlug Howard eifrig vor. »Sagen wir zu einem ausgiebigen Sonntagsfrühstück?«
»Das müßte aber ziemlich spät sein. Ich arbeite nachts, und am Samstag geht es am wildesten zu.«
Das konnte sich der Arzt sehr gut vorstellen. »Bitte«, sagte er, »es könnte sehr wichtig sein.«
»Na gut, sagen wir um zwei. Und wo?«
»Wie wäre es mit dem Hampshire House?«
»Einverstanden«, meinte das Mädchen, griff rasch nach ihrem Schirm und den Päckchen und verließ mit einem Abschiedslächeln das Cafe.
Nach einem Blick auf ihre Armbanduhr beschleunigte Carol Donner ihre Schritte. Die Begegnung mit Dr. Howard war in ihrem knappen Zeitplan nicht vorgesehen gewesen. Sie durfte zur Besprechung mit ihrem Doktorvater nicht zu spät kommen. Sie hatte gestern das dritte Kapitel ihrer Doktorarbeit nochmals überarbeitet und war gespannt auf seine Reaktion. Während sie mit der Rolltreppe zur Straßenebene hinunterfuhr, dachte sie über ihr Gespräch mit Dr. Howard nach.
Es war schon sehr merkwürdig gewesen, so plötzlich dem Mann zu begegnen, von dem ihr Alvin des öfteren erzählt hatte. Sie wußte von ihm, daß Dr. Howard seine Frau durch einen Unglücksfall verloren und versucht hatte, die Tragödie zu überwinden, indem er seine Lebensumstände total veränderte und sich in seine Arbeit vergrub. Sie hatte sich sehr für die Geschichte interessiert, zufällig ging es in ihrer Arbeit um die Psychologie der Trauerarbeit. Sein Schicksal und sein Verhalten stellten eine perfekte Fallstudie dar.
Der Pfiff des Portiers vom Weston Hotel, der ihr freundlicherweise ein Taxi beschaffte, gellte so in ihren Ohren, daß sie zusammenzuckte. Als der Taxifahrer vor ihr anhielt, gestand sie sich ein, daß ihr Interesse an Dr. Jason Howard vielleicht doch ein bißchen über das rein ihre Doktorarbeit Betreffende hinausging. Sie hatte den Mann ungewöhnlich attraktiv gefunden und mußte bei sich zugeben, daß ihr Wissen um sein Schicksal und seine Verletzlichkeit seine Anziehungskraft auf sie noch erhöhte. Auch sein spürbares Pflichtbewußtsein und soziales Gewissen waren ihr wohltuend aufgefallen.
»Harvard Square«, nannte sie als Fahrziel, als sie einstieg. Sie sah dem morgigen Treffen mit Jason Howard erwartungsvoll entgegen.
Der Arzt saß indessen vor seinem kalt werdenden Kaffee und mußte sich eingestehen, daß er völlig überwältigt war vom Charme und der spürbaren Intelligenz dieser Carol Donner. Damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte vielmehr ein unbedarftes Kleinstadtmädchen erwartet, das vielleicht irgendwie durch Geld und Drogen von der höheren Schule gelockt worden war. Statt dessen war er auf eine liebenswürdige, gescheite junge Frau gestoßen, die jeder gehobenen Unterhaltung gewachsen war. Welch eine Tragödie, daß ein Mädchen mit ihren unzweifelhaften Gaben in dieses bedenkliche und anstößige Milieu geraten war, in dem sie jetzt lebte… Der hartnäckig quäkende Ton
Weitere Kostenlose Bücher