Todesangst
Donner nicht einmal den Tod von Helene Brennquivist mitgeteilt hatte. Nun, das ist ein guter Grund, um sie noch mal anzurufen, dachte er und wählte die Nummer ihrer Kollegin.
Melody Andrews meldete sich mit einem kräftigen Südstadtakzent. Sie teilte Howard mit, daß sie das Päckchen hätte und er gleich vorbeikommen könne, um es sich abzuholen. So eine halbe Stunde etwa sei sie sicher noch auf.
Er zog sich einen Pullover und eine lässige Jacke an und machte sich, da es nicht weit war, zu Fuß auf den Weg. Er ging ein Stück die Pinckney Street hinunter und dann hinüber zur parallel verlaufenden Revere Street. Das ihm genannte Haus lag auf der linken Straßenseite. Er klingelte bei Melody Andrews, und sie erschien in Lockenwicklern an der Tür. Howard hatte gar nicht gewußt, daß man so etwas tatsächlich noch benutzte. Das Gesicht des Mädchens war bleich und abgespannt.
Er stellte sich vor, sie nickte nur und überreichte ihm das in braunes Packpapier eingeschlagene und verschnürte Päckchen. Es war ziemlich groß, eher schon ein Paket. Als sich der Arzt bedankte, sagte sie mit einem Schulterzucken nur: »Schon in Ordnung.«
Nach Hause zurückgekehrt, riß sich Howard Jacke und Pullover herunter, lief in die Küche, holte eine Schere und schnitt begierig die Schnur um das Paket auf. Dann trug er es in sein Arbeitszimmer, legte es auf seinen Schreibtisch und begann es auszupacken. Es enthielt zwei Ordner mit handschriftlichen Anweisungen, Diagrammen, Untersuchungsergebnissen und Aufzeichnungen über Experimente. Auf dem einen Ordner stand Gene Inc. auf dem anderen einfach Unterlagen. Außerdem gab es einen großen Umschlag mit Briefen und Durchschlägen.
Der erste Brief, den Howard las, stammte von der Gene Incorporated und enthielt die Aufforderung an Hayes, sich an seinen Vertrag zu halten und das Somatomedin-Protokoll sowie den Rekombinationsstamm von Kolibakterien zurückzugeben, die er widerrechtlich aus ihrem Labor geholt hätte. Die weitere Beschäftigung mit der Korrespondenz informierte Howard darüber, daß es schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten zwischen Hayes und der Gene Incorporated gab, welche die Eigentumsverhältnisse am Verfahren und dem Bakterienstamm betrafen, und daß Hayes dabei war, sich ein Patent darauf zu sichern. Außerdem fand der Arzt eine Reihe von Briefen eines Rechtsanwalts namens Samuel Schwartz. Etwa die Hälfte davon bezog sich auf die Sicherung des Patents für die das Somatomedin produzierende Bakterienkultur und die andere auf die Errichtung einer Gesellschaft. Soweit er es sah, hielt Alvin Hayes daran einundfünfzig Prozent, während sich in die restlichen neunundvierzig dessen Kinder und Samuel Schwartz teilten.
Das wäre also die Korrespondenz, dachte Howard. Er legte die Briefe und Durchschläge in den Umschlag zurück und wandte sich den Ordnern zu. Obenauf in dem mit Gene Inc. gekennzeichneten lag ein umfangreicher Schriftsatz, der das in der Korrespondenz erwähnte Protokoll zu sein schien. Der Arzt blätterte es durch und stellte fest, daß es offenbar im Detail die Züchtung des Rekombinationsstammes von Kolibakterien beschrieb, die der Produktion von Somatomedin dienen sollten. Aus seiner Lektüre wußte er inzwischen, daß Somatomedine wachstumsfördernde Substanzen waren, die von den Leberzellen produziert wurden, wenn dort das entsprechende Wachstumshormon vorhanden war.
Der Arzt legte den ersten Ordner beiseite und griff zum zweiten. Die darin enthaltenen Notizen über Experimente waren offenbar unvollständig, aber er konnte ihnen entnehmen, daß es dabei um die Erzeugung eines monoklonalen Antikörpers für ein bestimmtes Protein ging. Das Protein war zwar nicht namentlich genannt, aber Dr. Howard fand ein Diagramm über seinen Aminosäure-Aufbau. Die meisten Unterlagen überstiegen Howards Wissensstand, doch aus der Tatsache, daß weite Passagen durchgestrichen und viele Anmerkungen an den Rand gekritzelt waren, schloß er, daß die Forschungen keineswegs abgeschlossen waren und daß es bis zu dem Zeitpunkt, als die letzten Eintragungen erfolgten, Dr. Alvin Hayes nicht gelungen war, den gewünschten Antikörper zu erzeugen.
Der Arzt reckte sich und stand auf. Er war irgendwie enttäuscht. Er hatte gehofft, daß das Päckchen von Carol Donner ihm ein klareres Bild über die Art von Hayes’ Entdeckung verschaffen könnte, aber außer der Information über die Zwistigkeiten zwischen Hayes und der Gene Incorporated hatte Howard nicht allzuviel
Weitere Kostenlose Bücher