Todesbraut
verstanden. Es ist gut, dass beide aus seinem Leben verschwunden sind.
Und es tut weh.
Der Schlüssel dreht sich im Schloss.
Der Vollzugsbeamte sagt, seine Anwältin sei gekommen und er würde ihn nun ins Besprechungszimmer führen.
Als er einen letzten Blick aus dem Fenster wirft, sieht das Ende des Kondensstreifens aus wie ein Fragezeichen.
9.
»Was will diese Frau hier?«, fauchte Armanc Mêrdîn und starrte Wencke an, als hätte sie ihn bei ihrer letzten Begegnung mindestens grün und blau geschlagen. Dabei war das Gegenteil der Fall gewesen, sie hatte zumindest den Eindruck gehabt, dass der junge Kurde ihr Gespräch in guter Erinnerung behalten würde. Warum er ihr nun plötzlich so feindselig begegnete, war Wencke schleierhaft. Axel Sanders hingegen nahm er gar nicht zur Kenntnis, wahrscheinlich hielt er ihn für Yıldırıms Begleitung.
»Ich habe Frau Tydmers gebeten, bei unserem Gespräch anwesend zu sein, da sie wie ich Zweifel daran hegt, dass Sie vorletzte Nacht Ihre Schwester ermordet haben.« Die Anwältin stellte ihren Aktenkoffer auf den Tisch, dem anzusehen war, dass auf seiner abgewetzten Oberfläche oft Aktenkoffer abgestellt wurden, ließ die Scharniere schnappen und griff nach Mappe, Notizblock und Stift. Sie hatte sich umgezogen, trug nun ein weißes Sommerkleid aus Leinen, luftig trotz der langen Ärmel und dem bodentiefen Saum, auf ihrem Kopftuch brachten gelbe und rote Rosen ein wenig Farbe in das triste Besprechungszimmer, wahrscheinlich hatte sie genau deswegen diesen Stoff gewählt.
»Dann irren Sie sich eben beide«, brummte Mêrdîn. »Ich habe der Polizei alles gesagt. Und die haben mir geglaubt. Das muss reichen!« Er sah müde aus, unglücklich und gleichzeitig wütend. Sein borstiges Haar stand zu allen Seiten ab und die vorgestern noch so lebendigen Augen lagen wie schlammige Pfützen auf seiner unrasierten Haut. Er wirkte wie ausgewechselt, von dem netten jungen Mann war in den letzten vierundzwanzig Stunden nicht viel übrig geblieben. »Haben Sie mir Klamotten mitgebracht? Ich trage immer noch die Sachen vongestern und rieche wie ein Döner nach drei Tagen im Schaufenster …«
»Die Vollzugsbeamten kontrollieren die Tasche und bringen die Kleidung dann auf Ihre Zelle.« Yıldırım legte ihre Hand auf seinen Unterarm, als wäre sie seine Krankenschwester. »Wie sind Sie untergebracht?«
»Ist okay.« Mehr sagte er nicht. Dass er keine Nacht im Luxushotel hinter sich hatte, sah man ihm ohnehin an. Das Untersuchungsgefängnis war ein kantiges Gebäude auf dem riesigen Gelände der JVA Hannover, überall Stein, Beton und Metall in gnadenlos rechten Winkeln. Seine Unterkunft im Jugendstrafvollzug Hameln mochte im Vergleich hierzu die reinste Waldorfschulen-Atmosphäre ausgestrahlt haben. Doch sollte Armanc Mêrdîn verzweifelt über seine Lage sein, so war er wild entschlossen, sich das nicht anmerken zu lassen.
»Und was machen Sie den ganzen Tag?«
»Eben habe ich an meine Schwester gedacht …«
»An Shirin?«, fragte Yıldırım mit sanfter Stimme. »Das ist gut, wenn Sie an sie denken, damit die Trauer …«
»Nein, an Meryem. Meine andere Schwester.«
Die Anwältin stutzte kurz.
»Ist sie nicht vor ein paar Jahren in die Türkei gegangen?«, wollte Wencke wissen, denn es war nicht zu übersehen, dass die Erwähnung dieser Person eine seltsame Reaktion ausgelöst hatte.
Als Mêrdîn keine Anstalten machte, darauf zu antworten, fragte Wencke weiter: »Ist Meryem dort verheiratet?«
»Nein, sie hat sich für einen anderen Weg entschieden.«
Diese Information reichte Wencke nicht. »Was heißt das?«
Mêrdîn seufzte. »Meryem ist Mitglied bei der
kesîbtîya mewcûdbûna Kurdistanê
.«
»Wo?«
Ȇbersetzt: Kampf um das Dasein Kurdistans
«,
erklärteYıldırım an seiner Stelle. »Eine radikale Truppe kurdischer Freiheitskämpfer, auf der E U-Liste wird diese Untergrundorganisation als terroristische Vereinigung geführt. Sie zeichnen sich verantwortlich für die meisten Anschläge der neueren Zeit. Explosionen in Antalya, Bomben in Izmir, Sprengsätze in Istanbul …«
»Und da macht Ihre Schwester mit?« Wencke fiel aus allen Wolken. »Warum habe ich davon nichts erfahren?«
»Warum sollten Sie?«, blaffte Mêrdîn zurück.
»Wenn ein Familienmitglied einer extremistischen politischen oder sogar terroristischen Vereinigung angehört, hat das unter Umständen durchaus Auswirkungen auf die Angehörigen, denke ich. Und das wäre für meine
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