Todesbraut
Hilflosigkeit. »Es war mein Schwager! Armanc hat sie getötet. Was suchen Sie noch bei mir?«
Wencke hatte nicht wenig Lust, diesen Mann an den Schultern zu packen und wachzurütteln. Es schien fast so, als glaubte er selbst an seine Lügengeschichten. Ob er wusste, wie seine Exfrau im Juni zu kurzfristigem Reichtum gekommen war? Vermutlich hatte er zumindest eine Ahnung. Und was wüsste er wohl über die radikale Schwägerin zu berichten, die in den kurdischen Untergrund gegangen war? Ob ihm zu alledem auch noch irgendetwas Unverfängliches einfiel? Doch gerade,als Wencke sich ihre Worte zurechtgelegt hatte, klang die Ladenglocke bis in die Privaträume, und eine schneidende Stimme erkundigte sich nach einer Frau Tydmers – eine Stimme, die nölend und unerbittlich klang und die Wencke hier als Allerletztes zu hören erwartet hätte.
»Ich glaub es nicht!«, raunte sie Axel zu.
Doch keine Sekunde später schob Tilda Kosian den Perlenvorhang energisch zur Seite, die Haut so weiß wie Schnee, die Lippen rot wie Blut und das Haar schwarz wie Ebenholz. »Keine zwei Wochen im Amt, Frau Tydmers, und schon ein saftiges Disziplinarverfahren in Aussicht«, zischte das LK A-Schneewittchen , und Wencke beschloss, diesen Satz als Kompliment zu werten.
»Und Sie müssen Axel Sanders sein.« Kosians Eisaugen musterten Axel von oben bis unten. »Soweit ich informiert bin, haben Sie sich in der JVA mit einem Dienstausweis Zutritt verschafft, der in diesem Fall nicht mehr Bedeutung hat als ein abgelaufenes Monatsticket der Stadtbahn, auch wenn die Anwältin Yıldırım es anders sehen mag. Sie ahnen, welchen Ärger Sie sich hier einhandeln?«
Axel Sanders hatte schon immer das Talent besessen, sich in Situationen wie dieser mit überheblicher Sachlichkeit zu retten. Auch jetzt knickte er nicht ein, zum Glück. »Wie schön, wenn Sie die Dienstvorschriften so genau studiert haben, Frau … wie war noch gleich Ihr Name?«
Wunderbar, Axels Selbstbewusstsein schien die Kosian scheibchenweise schrumpfen zu lassen. Sie versuchte es mit einem hochgereckten Kinn. »Tilda Kosian, Abteilungsleiterin des LKA Dezernat 3. Ich bin die Vorgesetzte von Frau Tydmers.«
»Schön«, Axels Stimme war herrlich nasal. »Natürlich haben Sie recht, die Kripo Aurich darf nicht grundlos in der Gegend herumermitteln. Wenn jedoch die Situation es verlangt,wenn die Verfolgung eines Straftäters über die Zuständigkeitsgrenzen hinausgeht und ein Einsatz dringend erforderlich ist, dann wird von einem Polizeibeamten erwartet, dass er, an welchem Ort auch immer, seinem Diensteid Rechnung trägt.«
»Aha?« Kosians Augenbrauen stießen beinahe an den Haaransatz. Wahrscheinlich forschte sie in ihrer Erinnerung, ob sie von einem solchen Paragrafen je etwas gehört hatte, und Wencke war sich gar nicht sicher, ob der Gesetzestext nicht soeben erst in Axels Hirn entstanden war.
»Und welche Strafverfolgung bedarf Ihrer Meinung nach eines dringenden Einsatzes? Den Mörder von Shirin Talabani haben wir bereits in Gewahrsam, Sie haben Armanc Mêrdîn doch vorhin in der U-Haft besucht.«
»Er war es nicht«, mischte Wencke sich ein. »Die Polizei versteift sich auf den Falschen und lässt dem wahren Mörder genug Zeit zu verschwinden.«
Die Kosian seufzte gereizt. »Aber Mêrdîn hat gestanden.«
»Aus psychologischer Sicht passt in dieser Geschichte nichts, aber auch gar nichts zusammen.« Wencke blieb gelassen, auch wenn sie wusste, dass solche Argumente in Kosians Ohren substanzlos klangen. »Axel Sanders ist bemüht, den Schaden der allzu schnellen Vorverurteilung in Grenzen zu halten. Er ist hier zur richtigen Stelle am richtigen Ort. Bald werden Sie dankbar dafür sein, dass er in Hannover seinen Dienstausweis gezückt hat.«
»So, so …« Es war Wenckes Chefin deutlich anzumerken, dass dieser Schlagabtausch unter ihrem Niveau lag. Sie atmete tief ein. »In einer Stunde können wir mit den ersten Berichten der Spurensicherung rechnen. Dann sind wir alle ein bisschen schlauer.«
»In einer Stunde muss ich meinen Sohn von der Schule abholen …«
»Frau Tydmers, vielleicht sollten Sie sich irgendwann entscheiden,welche Rolle Sie eigentlich spielen möchten: die der verantwortungsvollen Mutter, die sich um einen klar begrenzten Bürojob beworben hat, um für ihren Sohn da zu sein – oder die der halsbrecherischen Einzelkämpferin mit Hang zur Selbstzerstörung …«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Sollten sich am Tatort tatsächlich
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