Todesbraut
keine Spuren von Mêrdîn finden lassen, keine DNA, keine Fingerabdrücke, keine Fasern, einfach gar nichts, dann bin ich bereit, Ihnen Glauben zu schenken, und werde Sie sogar bei Ihrer Arbeit unterstützen.« Es gelang ihr beinahe ein huldvolles Lächeln.
»Und wenn eine Spur zu finden ist, sind wir suspendiert?«, vervollständigte Wencke den seltsamen Kuhhandel.
»Dann sind wir uns ja einig«, zischte die Kosian.
… die Traumgestalten …
Der Junge fühlt den Ball schon auf seinem Fuß, bevor die Flanke bei ihm angekommen ist. Es kribbelt an der Innenseite seines Ballens. Damit will er das runde Leder treffen. So nah am Tor, er muss nur eine halbe Drehung mit dem Körper machen und den Schuss lang mit sich ziehen, dann hat er es geschafft. Zwei Jungs hinter ihm rufen seinen Namen.
»Du hast ihn! Hau ihn rein! Hau ihn rein!«
Seine Zunge sitzt zwischen den Zähnen. Drei Schritte vorwärts. Alles kein Problem. Richard zwischen den Pfosten macht große Augen. Den kriegt er nie, das weiß er. Unhaltbar!
Philipp Lahm will er sein. Schnell und treffsicher und ein Ass im Team.
Ein fremder Schuh schiebt sich dazwischen. Rotes Leder, kein Sportschuh. Ziemlich weit oben stoppt dieses Bein, das aus dem Nichts aufgetaucht sein muss, den Flug des Balles. Wenn der Junge genauso groß wäre, dann würde er das auch schaffen, in dieser Höhe abzuwehren. Aber er ist erst sechs. Ein Meter dreißig, mehr nicht. Keine Chance. Das ist unfair.
»Scheiße«, ruft einer seiner Kumpels. »Wer ist das denn?«
Der Ball fliegt ins Aus. Das Spiel gerät aus dem Fluss. War sowieso nur Spaß. Ein bisschen bolzen auf dem Platz an der Schule, bis die Eltern einen abholen. Die anderen bleiben stehen und schauen, wer ihm das Tor vermasselt hat.
Sie ist schon fast erwachsen. Man kann die roten Schuhe nicht mehr sehen, denn der Rock reicht bis zum Boden. Ihr Haar ist von einem Tuch bedeckt. Ein schwarzes Tuch. Die muss schwitzen darunter.
Sie dreht sich um. Das Gesicht liegt im Schatten ihrer Kopfbedeckung.Nur eine kleine Stelle am Kinn wird von der Sonne beschienen. Die Haut sieht aus wie Mettwurst. Der Mundwinkel endet in drei Furchen. Ob sie sich freut über den Sahneschuss, oder ob sie wütend ist oder böse, man kann es nicht sehen. Die drei Mundwinkel zeigen nach oben, zur Mitte, nach unten. Unter dem Schleier versteckt sich ein Monster, ganz klar. Eines von der Sorte, vor dem der Junge sich fürchtet, wenn er schlecht träumt. Vielleicht ist das hier ja wirklich nur ein Traum … In echt gibt es keine türkischen Mädchen, die Fußball spielen können.
Er rennt zum Spielfeldrand und schnappt sich den Ball. Keiner hat mehr Lust zu bolzen. Sie gehen vom Platz.
So ein bescheuerter Tag. Zum Glück ist es bald fünf. Er freut sich auf zu Hause. Sie haben Besuch. Er hatte schon ganz vergessen, wie Axel aussieht. Heute wollen sie zusammen Pizza essen gehen. In einer Stunde kommt seine Mutter und holt ihn ab.
Das komische Mädchen steht allein auf dem Rasen und schaut in seine Richtung.
Was will sie von ihm?
11.
Es dauerte ewig. Eine Stunde Wartezeit hatte sich – natürlich – als utopisch herausgestellt. Doch Wencke war fest entschlossen, nicht eher Feierabend zu machen, bis die Untersuchungsergebnisse vorlagen. Sie nutzte die Gelegenheit, alle Unterlagen in ihrem Büro noch einmal ausgiebig zu sichten. Nebenan hörte sie das aggressive Klappern von Tilda Kosians Computertastatur. Diese Frau war genauso stur wie sie. Nun kam es einzig und allein darauf an, wer von ihnen durch den Bericht der Spurensicherung recht bekam.
Zum Glück hatte Axel sich bereit erklärt, Emil abzuholen, falls es später werden würde. Wer zuerst an der Schule war, sollte nicht länger auf den anderen warten, sondern schon mal mit dem Kind nach Hause fahren, so hatten sie es vereinbart. Und da Axel sich bislang noch nicht gemeldet hatte, war davon auszugehen, dass es reibungslos geklappt hatte. Immerhin war es nun schon Viertel nach sechs.
Wencke ging noch einmal die vom Handy der Toten notierten Nummern durch. Gestern schon hatte sie alle abtelefoniert und wenig Interessantes erfahren. Heute fiel ihr Blick noch einmal auf die Nummer des Steinhuder Reisebüros, das am Vortag keine Auskunft geben wollte. Vielleicht hatte Shirin dort tatsächlich einen Flug nach Istanbul gebucht, damit sie mit den Kindern in der Heimat das Ende der Fastenzeit, dieses Zuckerfest, feiern durfte.
Aber ohne Befugnis würde Wencke auch heute bei
Sunshine Travel
eine
Weitere Kostenlose Bücher