Todesbraut
legte die Notizen auf die Tastatur, morgen würde sie dieser Sache nachgehen.
»N’ Feierabend«, wünschte Boris Bellhorn, dessen Blick durch die angelehnte Bürotür Wenckes Augen begegnet war und der somit nicht – wie sonst seine Art – wortlos an ihrem Raum vorbeihasten konnte. Eigentlich war er ein netter Kollege, noch sehr jung, etwas schüchtern, immer sehr modern gekleidet, dazu eine fransige Fönfrisur, die wilder aussah, als es seinem Charakter entsprach. Hätte die Kosian ihn nicht gnadenlos an der Kandare, dann könnte Wencke sich vorstellen, mit ihm auch mal ein paar persönliche Sätze zu wechseln. Doch meist huschte er davon, wenn Wencke auftauchte, und schlug die Augen nieder, wenn sie grüßte. Sobald dieser Fall halbwegs erledigt wäre, würde Zeit sein, herauszufinden, was in dieser seltsamen Abteilung eigentlich vor sich ging. Wencke sehnte sich fast nach den Zankereien und Kaffeegelagen der Auricher Mordkommission, nach Britzkes Klugscheißereien, Pals schrägen Haarschnitten, und nach Axel sowieso.
Zwanzig vor sieben. Verdammt noch mal.
Schließlich überwand Wencke sich, stand auf, packte ihren Rucksack und ging zu Kosians Tür. »Ja, bitte?«, erwiderte diese das Klopfen.
Wencke steckte den Kopf durch den Türspalt. »Noch immer nichts?« Sie bekam sogar ein Lächeln hin, von dem sie hoffte, es würde halbwegs kollegial rüberkommen: Wir beide hier um diese Uhrzeit, so was Dummes aber auch, warum müssen die Laborratten auch immer so furchtbar langsam arbeiten?
Kosian stieg darauf gar nicht erst ein. »Ach, stimmt, Sie warten ja noch …«, murmelte sie, tippte auf ein paar Tasten, griff nach der Maus und klickte. »Vor zehn Minuten ist etwas gekommen.«
Einerseits ärgerte Wencke sich, dass ihre Vorgesetzte es nicht für nötig befunden hatte, umgehend Bescheid zu geben. Andererseits konnte das nur bedeuten, dass das Ergebnis zu Wenckes Gunsten ausgefallen war, sonst hätte die Kosian nicht eine Sekunde gezögert, ihr die Suspendierung mitzuteilen.
»Es gibt keine Hinweise, dass Armanc Mêrdîn in der Wohnung gewesen ist«, fasste die Kosian sich kurz.
»Sag ich doch.« Na also. Damit konnte sie arbeiten. Und hatte Tilda Kosian ihr unter diesen Bedingungen nicht die absolute Unterstützung zugesagt? »Ich gehe dann mal. Es wäre nett, wenn ich morgen mal einen Blick in die Strafregister der anderen Familienmitglieder nehmen könnte. Wussten Sie, dass die Schwester der Toten in einer kurdischen Extremistengruppe ist?« Nein, das wusste Tilda Kosian nicht, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen. »Und dann würde ich gern die DNA des Fötus mit der einiger Beteiligter vergleichen lassen …«
Die Schneewittchenaugen funkelten. »Dass wir keine Spuren gefunden haben, heißt noch lange nicht, dass der Bruder nicht doch der Täter ist …«
»Ach, lassen wir das doch einfach«, stoppte Wencke bestens gelaunt. »Stattdessen könnten Sie mir lieber mal verraten, wer Ihnen erzählt hat, dass Axel Sanders und ich im Hause Talabani waren.«
Kosian verschränkte die Arme. »Es gab eine Beschwerde. Nicht zu Unrecht, darüber sind wir uns doch wohl einig.«
Mit einem Mal fiel Wencke etwas ein, eine seltsame Bemerkung, die Moah Talabani in seiner Wohnung hatte fallen lassen.Etwas, das sie hatte aufhorchen lassen. »Die Beschwerde kam nicht zufällig von POK Karsten Völker?«
Ein Zucken der Mundwinkel verriet, dass die Kosian sich über Wenckes Scharfsinn zu ärgern begann. »Der Hinweis kam von einem Kollegen, da liegen Sie richtig.«
»Dann wäre es gut, wenn wir diesen speziellen Kollegen doch mal genauer unter die Lupe nähmen. Sein Interesse scheint mir etwas über das berufliche Interesse hinauszugehen.«
»Er kannte die Tote privat, wie Sie wissen …«
»Eben. Und privat kann so ziemlich alles bedeuten.« Wencke schulterte den Rucksack. »Ach ja, könnte ich morgen eine Genehmigung für eine Postfachöffnung bekommen? Das dürfte für Sie ja kein größeres Problem darstellen.«
»Ein Postfach? Was soll denn das schon wieder?«
»Erkläre ich Ihnen morgen, Frau Kosian. Ich gehe jetzt erst mal nach Hause, mein Sohn wartet schon!« Wieder war da ein kaum wahrnehmbares Zucken auf dem ansonsten versteinerten Gesicht. Doch warum auch immer Tilda Kosian sich nun schon wieder ärgerte, es war Wencke bestenfalls egal.
Die Aussicht auf einen ruhigen Abend mit Emil und Axel ließ Wencke fast zur U-Bahn rennen. Sie könnten sich gleich am Imbiss was zu essen holen,
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