Todesbraut
Hauses, mehr nicht.«
»Mal wieder eine Party«, fragte der verschlafene Großvater genervt.
»So in der Art, ja. Entschuldigen Sie bitte die späte Störung.«Wencke hoffte, nicht noch mehr Unruhe verbreitet zu haben, und legte auf.
Axel stand neben ihr, umfasste sie von hinten, und sie sträubte sich nicht. Sie trug noch immer die ausrangierte grüne Uniform, die sie in Misburg gegen die durchnässten Klamotten eingetauscht hatte. Diese kratzige Hose und den viel zu warmen Pullover würde sie noch eine Weile anbehalten, denn sie hatte nicht vor, nach Hause zu gehen, bevor sie nicht wusste, wo Emil steckte. Auch wenn sie mit ihrer Nervosität wahrscheinlich alles nur noch schlimmer machte, Wencke war klar: sie würde jetzt auf keinen Fall daheim vom Kinderzimmer in die Küche tigern und auf den erlösenden Anruf warten können. Sie musste etwas tun, um ihre Nerven in den Griff zu bekommen. Und ihre Angst. Man würde sie ja sofort über alles informieren: Falls man Emil fand, hatten die Polizeistationen Axels Handynummer notiert.
Also versuchte sie sich jetzt wieder auf dieses Haus zu konzentrieren. Und auf die Spuren, die bereits einen Teil der Geschichte erzählten. Sie begann, sich intensiver umzusehen. Ein Stapel Briefe lag in der Küche, sie überflog die Adressen, doch es schien nichts Interessantes dabei zu sein. Der Familienkalender war eng beschrieben, vor allem in der Zeile, die mit »Papa« betitelt war, ballten sich die Termine. Frühschicht, Spätschicht, Fußballtraining, Skat bei Reiner, TÜV – nichts Ungewöhnliches.
»Völker hat jedenfalls keinen Urlaub und wohl auch keinen Flug auf die Malediven geplant«, stellte Axel fest.
»Axel, überleg doch mal: Wenn er tatsächlich mit seiner Geliebten vierzehn Tage am Strand kuscheln will, während seine Ehefrau sich in Seelze mit Elternsprechtagen, Kreditverlängerungen und Frauenarzt-Kontrolluntersuchungen herumschlagen muss – meinst du, das würde er im Kalender notieren?«
»Du meinst, er hat all diese Termine aus dem Hut gezaubert, um seinen Liebesurlaub zu verheimlichen?«
»Und dann ist Marina Völker dahintergekommen und hat ihn heute Nacht verlassen.«
Axel schien noch nicht überzeugt. »Warum ist er dann so verzweifelt? Immerhin hatte er nach deiner Theorie eine Geliebte, die womöglich sogar schwanger von ihm war. Dass Shirin tot ist, weiß er schon seit gestern. Die Sache ist zwangsläufig zu Ende. Und wenn seine Frau dahintergekommen ist, dann, na ja, manchmal ist es vielleicht ja auch eine Erleichterung, wenn das Ganze dann endlich rauskommt und die Heimlichkeiten ein Ende finden.« Axel blickte in den Garten, wo Karsten Völker sich mit seinem Trikotärmel den Mund abwischte, ein Häufchen Elend, vollgekotzt und wundgeheult, nachdem er hier im Haus zuvor getobt haben musste wie ein Germanenstamm. »Ich verstehe nicht, warum er so fertig ist.«
»Der Punkt ist: Sie hat ihn verlassen. Egal, ob sie einen triftigen Grund dazu hatte oder nicht, er ist in seiner Ehre gekränkt.«
»Schon wieder diese verdammte Ehre«, kommentierte Axel. »So unterschiedlich sind die Kulturen dann wahrscheinlich doch nicht.«
»Ich sehe da trotzdem keinen wirklichen Zusammenhang zwischen dem Fall Shirin Talabani, den Korruptionsvorwürfen und diesem Chaos hier. Und was in Gottes Namen hat Emil denn mit all dem zu tun?« Sie kaute so lange auf ihrer Unterlippe, bis sie das Gefühl hatte, ihre Tränen zurückgepfiffen zu haben. Dann atmete sie tief durch und öffnete eine Schublade. Exakt geordnet lag das Besteck in seinen Fächern. Im Regal waren die Kochbücher alphabetisch geordnet – ›Afrikanische Küche‹ bis ›Zubereitung im Dampfgarer leicht gemacht‹. Die Müllbehälter waren ausgeleert und sauber. Im herausziehbaren Gewürzbord herrschte ebenfalls vorbildlicheOrdnung. Wencke musste sich zusammenreißen, nicht alles auf den Boden zu fegen, ihre Nerven lagen blank.
»Du kannst hier nicht die Wohnung auf den Kopf stellen«, mahnte Axel. »Dazu fehlt uns erstens die richterliche Befugnis, zweitens glaube ich nicht, dass es uns irgendwie weiterbringt. Wir kommen morgen wieder, wenn Völker nüchtern ist.«
Wencke durchforstete unbeirrt die Gummibandsammlung auf dem Fensterbrett, schob die Kaffeetassen auseinander. »Ich bin mir sicher, dass uns hier irgendetwas …« In einer Ecke waren Schreibutensilien in einem Plastikset sortiert, Stifte, Anspitzer, Radiergummi und Notizblock, alles an seinem Platz. In einem Ablagefach darunter lagen
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