Todesbraut
lose Zettel, Wencke nahm sie heraus. Es waren kleine Botschaften, wie man sie sich in einer gut organisierten Familie als Erinnerung oder Mitteilung auf einen bestimmten Platz legte. Auf dem obersten stand
Denk an die Türklinke!!!
Bin Getränke kaufen – Mathe-Nachhilfe erst morgen – Karsten, kannst du bitte die Türklinke im Gästeklo reparieren! – Dustin P. kommt nicht zum Training wegen Magen-Darm – Termin beim TÜV ausmachen …
Komme heute erst spät, wartet nicht auf mich, Essen ist in der Mikrowelle – Marina.
Der letzte Zettel wog schwerer als die anderen, denn unter den Namen hatte die Verfasserin noch das Datum gekritzelt: Marina war vorgestern Abend später gekommen. Am Abend des Mordes.
»Jetzt verstehe ich!« Wencke rannte in den Garten, griff dem inzwischen eingenickten Karsten Völker unter das versiffte Kinn und hielt ihm die Notiz vor die Augen. »Sie glauben, dass Ihre Frau die Mörderin ist, stimmt das? Sie betreiben den ganzen Aufwand, um diesen Verdacht zu vertuschen. Ihre Affäre mit Shirin Talabani ist aufgeflogen, und dann verschwindetIhre Frau einen ganzen Abend lang – ungewöhnlich für sie. Marina hat ihre Nebenbuhlerin besucht … und ermordet!«
»Sie hat mich verlassen«, jammerte Völker.
»Hat Sie Ihnen gegenüber die Tat gestanden?« Wencke musste sich beherrschen, ihm nicht an die Kehle zu gehen. Sie hatte das Gefühl, durch diesen kleinen Zettel, sechs mal sechs Zentimeter, einen Schritt weitergekommen zu sein. Und dieser Scheißtyp mauerte.
»Verdammte Weiber …«
»Jetzt passen Sie mal auf, Kollege. Wenn Sie nicht in der Lage sind, einen klaren Gedanken zu fassen, dann …« Sie packte Völker unter den Armen, und er ließ sich – kaum widerstrebend und auf Gummibeinen – vorantreiben. In der Ecke unter dem Ablauf der Dachrinne stand eine Regenwassertonne. Auf der glatten Wasseroberfläche schwammen braune Blätter und ein paar verendete Insekten. »Luft holen!«, befahl Wencke, dann tauchte sie Karsten Völkers Kopf in die Brühe, nur kurz, das musste reichen. »Besser jetzt?«
»Was … was machen …?«
»Hat Ihre Frau Shirin Talabani ermordet?«
»Keine Ahnung!« Seine Augenlider hingen noch immer auf Halbmast.
Der nächste Tauchgang fiel ein wenig länger aus.
»Bist du wahnsinnig?«, schrie Axel, der jetzt auch auf der Terrasse stand. »Wir sind hier nicht in Abu Ghureib!«
Wencke lockerte den Griff, sodass Völker wieder Atem holen konnte. »Wenn mein Sohn Emil wegen der verkorksten Familiengeschichte eines fremdvögelnden Arschlochs heute Nacht leiden muss, dann ist mir das gelinde gesagt scheißegal!« Sie zog ihn an den Haaren nach oben. »Haben Sie mich verstanden? Sie sagen mir jetzt auf der Stelle, wo mein Sohn ist. Hören Sie? Ich will meinen Sohn! Jetzt! Sofort!«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, stöhnte Völker, und tatsächlich schien er jetzt wieder einigermaßen bei Verstand zu sein. Schwer ließ er sich fallen, lehnte sich gegen die Regentonne und griff mit den Händen in sein triefendes Haar. »Was hat denn Ihr Sohn …? Bitte, ich habe damit nichts zu tun!«
Wencke hätte ihn am liebsten immer und immer wieder in die Regentonne getaucht, aber was würde das bringen? Wenn Völker etwas zu sagen gehabt hätte, dann hätte er es längst verraten. Der Mann war am Ende, da war nichts zu machen.
Der winzige Hoffnungsschimmer, der Wencke gerade noch angetrieben hatte, war erloschen. Doch sie musste weiterkommen. Sie musste!
»Ich … ja, es, es kann sein, dass meine Frau … Sie ist oft sehr … impulsiv. Sie haben das Chaos da drinnen ja gesehen. Geht auf Marinas Konto. Auch meine Schnittwunde hier …« Er zeigte seinen Handballen, um den er bislang ein Geschirrtuch geknotet hatte. Eine tiefe Kerbe in der Haut ließ die Vermutung zu, dass das Blut auf den Bodenfliesen von ihm stammen könnte. »Wenn meine Frau wütend ist, hat sie sich oft einfach nicht im Griff!«
»Und sie wäre dann sogar imstande, einen Mord zu begehen?« Wencke ließ sich neben ihm auf dem Boden nieder. »Es kam Ihnen ganz gelegen, dass Armanc Mêrdîn ein Geständnis abgelegt hat.«
Völker nickte schwach.
»Und dann kamen die Anwältin Yıldırım und ich Ihnen gewaltig in die Quere, weil wir diese Tatversion nicht akzeptieren konnten und weiter nachgeforscht haben.«
»Shirins Bruder hat doch alles zugegeben, warum reicht das nicht? Er wollte diesen Mord begehen, früher oder später hätte er es sicher
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