Todesbraut
rausbleibt?«
Völker nahm einen Schluck aus der Flasche und schwieg, als sei er noch immer allein im Garten. Wenckes und Axels Anwesenheit hatte er überhaupt noch nicht zur Kenntnis genommen.
»Ich wette, Sie sind es, der uns ständig diese heruntergekommenen Typen auf den Hals hetzt! Ihre Freunde aus der Drogenszene sollen uns im Auge behalten, ist das so? Der Kerl am Hauptbahnhof heute kam mir nicht von ungefähr so bekannt vor: Ich hab ihn in Wunstorf leider nicht erwischt, da ist er über die Bahngleise geflüchtet, nachdem er sich mit seiner Anfänger-Spionage ziemlich lächerlich gemacht hat. Auch ein alter Stammgast in Ihrer Dienststelle, stimmt’s?«
»Verdammte Scheiße«, kam es von ihm statt einer Antwort. Seine Aussprache war so feucht, dass Wencke darauf verzichtete, ihn am Kragen zu packen.
»Hören Sie: Mein Sohn ist verschwunden, heute am frühen Abend. Und Sie sagen mir jetzt alles, was Sie darüber wissen!«
»Ich … nichts … was …« Sein Kopf fiel zur Seite, als er versuchte,Wencke in die Augen zu schauen. Wenigstens zeigte er minimale Reaktionen. »Lassen Sie mich einfach …«
»Ja, das kann ich mir vorstellen, dass Sie Ihre Ruhe haben möchten«, fauchte Wencke. »Aber ich sage Ihnen was, Herr Völker: Wir wissen mehr, als Sie glauben.«
»Marina hat mich verlassen«, lallte er.
Wencke verstand sofort, was passiert war. Frau Völker, Marina Völker, hatte kurzen Prozess gemacht. Durch den Tod von Shirin Talabani war auch in dieser Familie etwas zerbrochen, und die heile Spießerwelt ging gerade den Bach herunter. Bye bye, Schöner Wohnen.
»Warum ist Ihre Frau gegangen?«, fragte Axel, der zum Glück in diesem ganzen Chaos immer noch so etwas wie die Übersicht behielt. »Hat es etwas mit unserem Fall zu tun?«
Als Völker nicht antwortete, packte Axel ihn an beiden Schultern und schüttelte ihn. »Hey, Kollege, sieh zu, dass du wieder auf der Erde landest. Wir haben eine Menge Fragen an dich.« Bevor der Kerl irgendetwas sagen konnte, ergoss sich erst mal sein Mageninhalt auf den Rasen. Axel hatte sich gerade noch so wegducken können, wandte sich angeekelt und resigniert ab und sah Wencke an: »Mein Gott, ist das widerlich. Und absolut zwecklos, fürchte ich.«
Wencke ging energischen Schritts durch die sperrangelweit offen stehende Terrassentür ins Wohnzimmer, blieb abrupt stehen: Der Raum war kaum wiederzuerkennen. Der ehemals schneeweiße Teppich war übersät von Scherben und Schmutzflecken in allen Farben des Regenbogens, hier schienen einige Gläser, Flaschen und Vasen zu Bruch gegangen zu sein. Über das Glas des riesigen Flachbildschirms verlief eine Kratzspur, die Familienbilder in ihren silbernen Antikrahmen hatte jemand vom Vertiko geschleudert. Ein Vorhang hing schief in der Schiene, die eine Hälfte reichte bis zum Boden. Und die dunklen Tropfen auf dem Küchenfußboden – Wencke ging näherheran – ja, hier war auch Blut geflossen. Einzelne Tropfen nur, nicht besorgniserregend, vorausgesetzt, das war alles, und man fand nicht irgendwo eine weitere rote Lache.
Sie rief Karsten Völker zu: »Wohin ist Ihre Frau gegangen? War sie verletzt?«
Doch er war schon wieder damit beschäftigt, die Rosenbeete mit Erbrochenem zu düngen.
Wencke nahm ein Küchentuch, legte es vorsichtig um ihre Finger, um keine Spuren zu verwischen, dann griff sie nach dem Telefon und drückte die Wahlwiederholung – von diesem Apparat aus war keine Notrufnummer gewählt worden. Der letzte Anruf war ein Ortsgespräch. Es klingelte ewig.
»Ja?«, meldete sich eine verschlafene Männerstimme.
Wencke räusperte sich. »Hier ist Wencke Tydmers, LKA. Wir sind in der Wohnung von Karsten Völker und ich habe die Wahlwiederholung betätigt, um zu sehen, mit wem er telefoniert hat.«
»Ich bin der Vater von Marina Völker. Einen Moment mal, bitte.« Man hörte das Rascheln von Bettwäsche, das Knarzen einer Matratze. »LKA? Was ist denn passiert?«
»Das wollten wir Sie fragen. Ist Ihre Tochter bei Ihnen?«
»Marina ist nicht hier, nur unser Enkelkind. Unsere Tochter hat das Kind am Nachmittag zum Übernachten vorbeigebracht, sie sagte, es könne am Abend etwas lauter werden im Haus.« Man merkte ihm an, dass er zu müde war, seine Gedanken zu sortieren. Erst nach und nach schlich sich die Aufregung in seine Stimme. »Was ist denn los? Was machen Sie da?«
»Alles in Ordnung«, beschwichtigte Wencke. »Nur ein Besuch unter Kollegen. Und wir vermissen die Dame des
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