Todesbraut
Personalien immer etwas verzögert ins Zentralnetz geht, gab es bei der Passkontrolle keine Auffälligkeiten.«
»Und Sie denken, dass ein Azad Talabani in Wirklichkeit Ihr Sohn …«
Wencke nickte. »Das T-Shirt im Haus der Talabanis, das Haarfärbemittel, die abgeschnittenen Strähnen, dazu die Unordnung, wahrscheinlich hatte man in aller Eile nach Azads zweitem Pass gesucht … Es passt alles zusammen, und ich wüsste nicht, welchen anderen Schluss man ziehen sollte.« Sie musste sich gewaltig zusammennehmen, um halbwegs ruhig zu bleiben. Wencke hatte diese Geschichte in der Nacht schon so viele Male erzählen müssen, dass sie wie ausgeleiert war. Jetzt konnte und wollte sie einfach nicht mehr, auch wenn sie spürte, dass Bellhorn und Kosian ihr ganz offensichtlich nicht nur professionelles Interesse entgegenbrachten, sondern aufrichtiges Mitgefühl. Wencke war davon tatsächlich ein wenig gerührt.
Es war kein Problem gewesen, sofort einen Sonderurlaub auf unbestimmte Zeit genehmigt zu bekommen, selbst wenn Wencke erst seit zwei Wochen hier arbeitete und zugegebenermaßen nicht gerade ein sonderlich freundschaftliches Verhältniszum Rest des Teams aufgebaut hatte. Die Startschwierigkeiten schienen vergessen, alle Abteilungen des LKA legten sich ins Zeug, wenn es um eine Kollegin ging, egal, wie lange sie schon dazugehörte.
Man sah Bellhorn an, dass er ehrlich schockiert war. Trotzdem versuchte er sofort, mit klarem Kopf an die Sache heranzugehen. »Haben Sie denn irgendeine Ahnung, wer oder was dahinterstecken könnte? Eine Forderung wie beim klassischen Kidnapping ist ja noch nicht eingegangen, oder?«
»Die brauchen mir nichts mitzuteilen, ich kenne die Forderung: Sie wollen verhindern, dass an dem Fall Shirin Talabani weiter gerüttelt wird.«
»Und? Was werden Sie tun?«
Ja, was sollte sie tun? Das war die quälende Frage, über die sie sich den Kopf zerbrochen hatte – so lange, dass es sich jetzt anfühlte, als bestünde ihr Schädel aus einem einzigen Scherbenmosaik. »Ich werde nach Istanbul fliegen. Um halb zwölf.«
Die Kosian stieß die Luft aus. »Und wo wollen Sie anfangen zu suchen? Vielleicht machen Sie sich falsche Vorstellungen von dieser Metropole. Ich war vor drei Jahren das letzte Mal dort. Istanbul hat fast so viele Einwohner wie London, Paris und Berlin zusammen. Und da glauben Sie ernsthaft, einen kleinen Jungen zu finden?«
Wencke ließ die Bemerkungen, aus denen eine Mischung aus Spott und Mitleid klang, so gut es ging an sich abtropfen. Wenn sie jetzt und hier schon begann, die Hoffnung zu begraben, wie sollte sie dann in der Türkei noch die Kraft aufbringen, weiterzumachen? »Es wird diese Hochzeit in der
Sultan Ahmet Camii
, der Blauen Moschee, geben. Insofern besteht eine realistische Möglichkeit, Zeitpunkt und Ort einer Begegnung mit der Familie einzukreisen. Ehrlich gesagt: es ist die einzige Chance, die ich habe.«
»Frau Tydmers. Wir sind ganz und gar auf Ihrer Seite undunterstützen Sie nach Kräften. Aber ich bitte Sie: Tun Sie nichts Unüberlegtes. Ich weiß, dass ich Sie nicht zum Däumchendrehen verdammen kann, aber Sie müssen das Ganze mit möglichst klarem Kopf angehen«, gab die Kosian zu bedenken.
»Wie wollen Sie sich verständigen? Auch wenn Istanbul eine sehr moderne Stadt ist, nicht jeder spricht Deutsch oder Englisch.«
»Peer Wasmuth wird mich begleiten.«
»Wasmuth?«
»Der Mann von Kiffen.« Wencke registrierte die Irritation ihrer Kollegen. »Christlich-Islamische-Freundschaft-Nord. Ein Bekannter des Mordopfers. Er kennt sich aus mit Land und Leuten, spricht fließend Türkisch und Kurdisch, und er hat sofort zugesagt.«
»Also dann. Ich drücke Ihnen die Daumen«, sagte die Kosian und schüttelte den Kopf. Dieser Satz klang zwar noch immer etwas blutleer, aber Wencke glaubte zu spüren, dass er doch von Herzen kam, falls diese Frau eines hatte. »Wir bleiben zu jeder Zeit in Verbindung und unterstützen Sie nach Maßgabe. Ich kümmere mich jetzt erst einmal um die Vorwürfe gegen den unfeinen POK Völker. Sollte der Vorwurf der Korruption und der versuchten Manipulation Ihrer Ermittlungen zutreffen, sieht es sehr finster für ihn aus. Halten Sie mich über alles andere auf dem Laufenden.«
Wencke nickte und war ihrer Vorgesetzten fast ein wenig dankbar. »Ist seine Frau inzwischen wieder aufgetaucht?«, fragte sie dann, ohne dass die Antwort sie in diesem Moment wirklich interessiert hätte.
»Sie hat sich heute früh
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