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Todesbraut

Titel: Todesbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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eine fundierte Meinung gebildet zu haben. Sie wusste nur: Sollten diese Menschen etwas mit Emils Entführung zu tun haben, dann   … Nein, so weit wollte, so weit durfte sie nicht denken, sonst würde sie noch völlig durchdrehen.
    Sie druckte die Unterlagen aus, es waren mehr als fünfzig Seiten, die das LKA über die neue »Familie« der MeryemMêrdîn bereithielt, und die würde sie lesen, sobald sie in der Lage dazu war – denn jetzt gerade war sie wund vor Angst und ausgebrannt vor Müdigkeit, jetzt könnte sie noch nicht einmal das ABC aufsagen.
    Allmählich musste sie sich auf den Weg zum Flugplatz machen, wo Peer Wasmuth auf sie wartete. Zuvor wollte sie noch zu den Postschließfächern, dort würde sie auch auf Axel treffen. Und schon heute Nachmittag landete sie in Istanbul.
    Sie packte die Papiere in einen Stoffbeutel und machte sich auf den Weg. Dass sie dabei mit den Gedanken schon wieder ganz woanders war, sich mit Ängsten und Selbstvorwürfen beschäftigte, statt sich zu konzentrieren – und deswegen die Schriften über
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auf dem Schreibtisch liegen ließ, war unbeabsichtigt. Und fatal.

… fallen   …
    Das Brummen des Motors erobert die Stille der morgendlichen Steppe. Niemand spricht ein Wort. Vier schweigende Frauen in einem Jeep. Eine davon ist Zeynep.
    Disteln und Dornpolster sind das einzige Grün, seit Stunden schon. Fast ein bisschen traurig.
    Aber Tränen gibt es hier nicht. Auf Tränen folgt Blut, hat ihr Kommandeur gesagt. Wer sein Herz zeigt, der muss damit rechnen, dass es bald zu schlagen aufhört.
    Eine Schwester hat sie schon lange nicht mehr. Also gibt es auch keinen Grund, um sie zu trauern. Knapp war die Nachricht bei der letzten Rast in Ankara vom Kommandanten überbracht worden. So knapp, als wäre sie gar nicht richtig ausgesprochen, gar nicht wirklich passiert.
    Es ist egal. Es muss egal sein.
    Das hier ist wichtiger als die Menschen, mit denen sie groß geworden ist. Ohnehin ist sie nicht mehr dieselbe, trägt einen anderen Namen, andere Kleidung, andere Ziele in sich.
    Damals hat sie geliebt. Ihre Eltern, ihre Schwester, ihren Bruder. Und einen Mann, den ihre Angehörigen nie geduldet hätten. Kein Moslem, kein Kurde, sondern ein Deutscher ohne Geld. Er hätte sie vielleicht in Sicherheit gebracht vor der tobenden Familie. Aber nur für kurze Zeit. Es wäre ein unfreies Leben gewesen.
    Unfreiheit bedeutet Schleier und Heirat und Unterwerfung. Oder offenes Haar und Heirat und ständige Flucht. Es hatte keine Lösung gegeben.
    Außer der, sich
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anzuschließen.
    Hier war die Liebe gänzlich verboten.
    Und wo es keine Liebe gab, gab es auch keinen Schmerz.
    Er hat sie verstanden – vielleicht sogar bewundert – und gehen lassen. Fallen lassen in eine Welt, die man Untergrund nennt. Über viele geheime Wege sind sie noch immer miteinander verbunden. Ohne Namen und Worte, ohne Berührung ist er weiterhin ihr Mann. Weil er den Kampf unterstützt. Den Kampf gegen die Unfreiheit.
    Dafür wird sie ihm immer dankbar sein. Sie, Zeynep.
    Meryem, die Frau mit dem Herzen, gibt es nicht mehr.
    Seit zwei Tagen sind sie unterwegs. Der Geländewagen sucht sich Wege, die noch nie von vier Reifen passiert wurden, damit sie geschützt sind vor den Augen des Feindes, der alles zu kontrollieren versucht. So reisen sie quer durch das Land, das es zu erobern gilt. Die Hügel sind staubig, doch sie meiden die Straßen. Die aufgehende Sonne glüht schon jetzt über ihren Köpfen, aber keine von ihnen trägt einen Schleier. Das Wasser geht bald zur Neige, egal, zum Rasten an einer Quelle fehlt die Zeit. Früher hätte sie das nicht durchgehalten. Heute verschwendet sie keinen Gedanken mehr an das, was wehtut.
    Ein menschliches Herz ist nichts im Vergleich zum Puls einer Kultur, der zu versiegen droht, hat der Kommandant gesagt.
    Er hält die Karte in der Hand. Bald sind sie am Ziel. Ihre Warnungen hatten sie deutlich formuliert: Wer sich am Zuckerfest in die großen, schönen Städte wagt, für dessen Leben wird keine Verantwortung übernommen. Mit dem Geld, das die Regierung durch den Tourismus einnimmt, wird ein schmutziger Krieg gegen die Kurden finanziert. Mitleid kann man nicht erwarten.
    Nicht nach all dem, was sie ihrem Volk angetan haben.
    Doch es ist ihnen nicht gelungen, den Stolz zu brechen. Die kurdische Frau lässt sich nicht mehr unterdrücken, die hat den Schleier fallen lassen und zur Waffe gegriffen, um sich das Land zu nehmen, in dem sie in Freiheit leben kann.
    Zeynep

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