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Todesbraut

Titel: Todesbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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am frühen Morgen an so ein spezielles Gerät anschließen.«
    »Ist sie schon einmal aufgewacht? Kann sie sprechen? Ich meine, vielleicht hat Ihre Chefin einen Hinweis auf diesen Informanten geliefert   …«
    »Heute so gegen drei Uhr, da habe ich erst gedacht, sie kriegt was mit, aber der Arzt hat das anders gesehen. Vielleicht war es nur meine Einbildung, meine Hoffnung. Es ist schrecklich, diese starke Frau da so liegen zu sehen   …« Tatsächlich schluchzte die junge Anwaltsgehilfin in den Hörer.
    »Hat sie denn etwas gesagt?«
    »Na ja, ich habe kaum etwas verstanden. Aber ich glaube, sie hat versucht, mir etwas zu sagen. Wenn ich sie richtig verstanden habe, sagte sie ›zwei Mann‹.«
    »Zwei Mann?« Wencke dachte kurz nach. »Könnte sie gemeint haben, dass ein zweiter Mann im Mergelbruch war?«
    »Ach, ich weiß es nicht. Ich bin todmüde, wissen Sie, es kann sein, dass meine Chefin wirklich einen Hinweis geben wollte. Es kann aber auch sein, dass es nur ein Hirngespinst war, von mir oder von Frau Yıldırım.«
    »Ich danke Ihnen trotzdem für die Nachricht. Sagen Sie bitte hier im LKA Bescheid, wenn sich etwas Gravierendes ergibt?«
    Papatya versprach, dies zu tun, dann legte sie auf.
    Dies waren nicht gerade die Informationen, die man brauchte, wenn man dem Tag begegnen wollte. Wencke ließ sich wieder auf einen der unbequemen Stühle fallen. Eine Böe vom offenen Fenster wehte die Papiere vom Schreibtisch. Unwichtige Papiere. Jetzt, in diesem Moment, schien Wencke alles unwichtig zu sein, was sie nicht von ihrer allumfassenden Angst um Emil befreite, die sie fast verschlang. Statistiken über Verbrechen, pah! Tabellen, in die man Schicksale gequetscht hatte. Zahlenreihen, die etwas über Verzweiflung, Brutalität, Angst und Tod verraten sollten, aber eben doch nur Zahlenreihen waren. Ihre Mutter hatte recht gehabt, sie hatte sich hier einen jämmerlichen Job ausgesucht. Man konnte das Unfassbare nicht katalogisieren. Zu dumm, dass man das nur verstand, wenn man selbst betroffen war.
    Ohne aufzustehen, angelte sie nach einem der Papiere.
    Es war Shirin Talabanis Lebenslauf, den Wencke studiert hatte, als sie noch nichts vom nahen Tod der Kurdin wusste. Älteste Tochter von Özgür und Nur Mêrdîn. Geschiedene Ehefrau von Moah Talabani. Mutter von Roza und Azad und einem nie geborenen Kind. Schwester von Meryem und Armanc. Schülerin von Peer Wasmuth. Geliebte von Karsten Völker.
    Geboren in Deutschland. Gestorben in Deutschland. Heute im Sarg unterwegs Richtung Türkei. In ihre Heimat. Wo niemand auf sie wartete.
    Wencke ließ das Blatt wieder los, es segelte in die Zimmerecke.
    Wartete wirklich niemand auf Shirin? Was war mit der Schwester, die angeblich in der Türkei für die Kurden kämpfte?
    Wencke fuhr den PC hoch, tippte Meryem Mêrdîn in die Suchmaske des LKA, erhielt aber keinen Treffer. Dann versuchte sie es mit dem »Kampf um das Dasein Kurdistans«.Eine lange Aufzählung verschiedener Terroranschläge breitete sich auf dem Bildschirm aus. Viel sei über diese Gruppierung nicht bekannt, bemängelte das Außenministerium. Die Kämpfer von
kesîbtîya mewcûdbûna Kurdistanê
, abgekürzt
kmK
, hätten sich vom ehemals militanten Arm der PKK abgespalten, da sie dessen Vorgehensweise als zu schwach verurteilten. Sie seien eine Horde fast unsichtbarer Terroristen, versteckt in den Metropolen des Landes, die erst in dem Moment in Erscheinung traten, wenn sie sich mit einem Gürtel voller Sprengstoff in eine Menschenmasse drängten und zu Märtyrern wurden. Die Mitglieder wurden als junge, frustrierte Menschen beschrieben, wortkarg und unter falschem Namen lebend. Sie entschieden sich für ein Dasein ohne feste Familie, ohne Partner, ohne Liebe – außer der zu ihrem Volk   –, lebten fast wie im Zölibat. Trotzdem gesellten die meisten sich freiwillig zur Gruppe, oft waren es Studenten oder Frauen, die glaubten, ihr Leben sei durch die Unterdrückung der Türken ohnehin nicht viel wert, es sei denn, sie wehrten sich dagegen. Manche kamen auch aus Deutschland und den Nachbarländern, waren dort geboren, mit westlichen Werten aufgewachsen, um dann Opfer der drastischen Rekrutierungsmethoden zu werden, mit denen die Terroristen überall in Europa für Nachwuchs sorgen.
    Meryem Mêrdîn war eine von ihnen, schätzte Wencke.
    Auch ein Opfer der Unterdrückung, genau wie ihre Schwestern. Nur wehrte sie sich auf einer anderen Ebene. Wencke wusste zu wenig über den Kampf der Kurden, um sich

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