Todesbraut
hing tief unter dem Gewölbe der Hauptkuppel, seine Kerzen und die rundum liegenden halbrunden Fenster sorgten für majestätisches Licht. Die verschnörkelten Fliesen waren angeordnet wie die Mandalasin Emils Malbüchern. Gold, Blau, Grün und Rot, zu schön in diesem Moment.
Endlich hatte sie Wasmuth entdeckt. Er stand neben einem bärtigen Mann im Talar und redete unter Zuhilfenahme sämtlicher Gliedmaßen auf ihn ein. Hatte er den
hoça
gefunden? Eine Frau in ihrem Aufzug war bei einem muslimischen Gottesmann wahrscheinlich weniger willkommen, also blieb Wencke, wo sie war. Der Prediger nickte ein paarmal, lächelte sogar, soweit Wencke es aus der Entfernung erkennen konnte, dann verschwanden beide Männer hinter einer steilen, schmalen Treppe aus Marmor. Der Minbar, verriet ein Hinweisschild auf Englisch, hier hielt der Imam die Freitagspredigt.
Sie gesellte sich wieder zu den Menschenmassen, strengte sich an, ein wenig von der Geschichte zu verstehen, die eine englische Reisegruppe erzählt bekam. Doch sie konnte sich nicht konzentrieren auf die Erzählungen von Fliesenmanufakturen, ehrgeizigen Sultanen und der frevelhaften Bedeutung von sechs Minaretten. Sie war zu nervös. Was, wenn der Hinweis in dem Brief nichts wert war und der Prediger keine Ahnung von einem Rafet hatte, der morgen früh eine Roza heiraten wollte? Dann wäre ihre letzte – nein, ihre einzige – Chance, Emil zu finden, vertan. Ohne Anhaltspunkt in dieser Metropole wären sie schlicht und ergreifend verloren. Und Emil – Wenckes Mund wurde trocken bei diesem unerträglichen Gedanken – bliebe verschwunden.
Wasmuths Gesichtsausdruck war nicht zu deuten, als er zehn Minuten später auf sie zukam. Immerhin hielt er einen Zettel in der Hand. »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht!«
Nein, bloß nicht so ein dämlicher Spruch …
»Zuerst die gute: Morgen heiratet hier tatsächlich ein Mann namens Rafet!«
»Dann haben wir ihn! Das ist wunderbar!«
»Die schlechte Nachricht: Es handelt sich um eine Massenhochzeit. Das Zuckerfest ist ein beliebter Heiratstermin, weil die Familie dann ohnehin zusammenkommt. Und morgen geben sich hier knapp zweihundert Brautpaare das Jawort. Türken und Kurden, da wird nicht unterschieden. Und Rafet scheint bei den Männern im heiratsfähigen Alter ein beliebter Name zu sein.«
»Wie viele?«
»Drei.«
… alle Schranken …
Die Henna-Nacht ist die Nacht der Tränen.
Die Braut hält sich unter einem roten Schleier verborgen, ihre Hände schauen unter dem Saum hervor, sie sind geschlossen. Das Gesicht hat sie gen Mekka gewandt.
Die Frauen ringsherum singen die traurigsten Lieder, die sie kennen. Sie handeln vom Abschied. Von Trennung. Davon, dass dies der letzte Abend ist, den eine junge Frau bei ihrer Familie bleiben kann, bevor sie die Schranken ihrer Heimat durchbricht und in die Fremde gehen muss. Davon, dass das Leben so viele Ungerechtigkeiten bereithält, dass es Arbeit bedeutet, Verzicht und Schmerz. Nur in der Henna-Nacht singen muslimische Frauen solche Dinge. Sonst schweigen sie dazu.
Doch es ist wichtig, dass die Braut weint. Ihre Tränen sind das Ziel, das es zu erreichen gilt. Weine um deine Kindheit, um deine Unschuld. Weine um deine Mutter, die du verlassen musst, sobald es Morgen wird.
Die Brautmutter weint meist am lautesten. Doch heute ist sie nicht dabei. Sie ist schon gegangen. In den Tod ist sie gegangen.
Aber die Großmutter ist gekommen, sie singt mit alter, zittriger Stimme, ist untröstlich. Man hat ihr die Aufgabe zugeteilt, die Farbe aufzutragen, denn diese Ehre gebührt nur einer Frau, die geachtet und wertgeschätzt wird.
Die angerührte Henna steht auf einem silbernen Tablett, umgeben von Kerzen, die ihren Schein über die Gesichter der versammelten Frauen flackern lassen. Die Braut hält die Hände geschlossen, bis die Mutter ihres Bräutigams kommt und etwas Goldenes hineinlegt. Die Schwiegermutter ist schon sehr alt,sie kann kaum gehen und wird gestützt. Sie ist nicht reich, das Armband ist nur vergoldet, leicht liegt es zwischen den nun gelösten Fingern, ein armseliges Geschenk.
Dann kann die Großmutter mit der Malerei beginnen. Der feine Pinsel scheint wie von selbst die verschlungenen Ranken auf die Handinnenfläche zu zeichnen. Spiralen und Blüten, feine Punkte und Linien, manche so zart wie das Haar eines Neugeborenen. Ein Kunstwerk, schlammfarben auf der Blässe. Die Finger umschlungen von Efeu und Blättern. Die Paste riecht nach
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