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Todesbraut

Titel: Todesbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Heu, vier Stunden muss sie einwirken, dann wird sie abgewaschen und hinterlässt einen schwachroten Schatten auf der Haut.
    Alle wollen sie sich auf diese Weise verschönern. Tanten, Cousinen, Schwägerinnen, Nichten, Nachbarinnen, Freundinnen. Die wenigsten haben die Braut vorher schon einmal gesehen. Trotzdem fühlen sie sich ihr nah. Das gemeinsame Schicksal verbindet.
    Morgen früh wird dieses Mädchen ihrem Mann begegnen. Er wird sie, begleitet von einem Hochzeitszug, in ihrem Haus abholen. Sie wird geschmückt sein, eine rote Schleife um den Leib und ein weißes Kleid tragen. Ein Schleier wird ihr Gesicht verbergen, bis der Eheschwur gesprochen ist und der Bräutigam den Tüll anheben darf. Dann wird nicht mehr geweint und gejammert, sondern gejubelt und geklatscht. Dann wird eine Kapelle aufspielen, die Tische werden gedeckt sein mit Köstlichkeiten, und die Gäste freuen sich auf ein rauschendes Fest. Gegen Abend müssen die anderen Männer den Bräutigam mit Fäusten traktieren, um ihn für die Hochzeitsnacht zu stärken. Die Braut wartet dann schon im Schlafzimmer, ermutigt von einer Frau, die mit guten Wünschen den Raum verlässt, sobald der Ehemann eingetroffen ist. Er soll seine Braut beschenken, soll sie mit Liebesschwüren zum Reden bringen, sie sollen gemeinsam beten. Und was dannkommt, davor fürchten sich die Frauen. Und diese Furcht ist das Schicksal, das sie alle verbindet – und sie gemeinsam singen lässt.
    Sie singen das Lied von der dunklen Rose. Ein altes, kurdisches Volkslied.
    Die Braut ist die Rose.
    Roza ist die Braut.

18.
    Wencke entschied sich für einen Überraschungsangriff.
    Einfach geradewegs drauf zu. Sie hatte schon längst beschlossen, ab jetzt weder zu bremsen noch auszuweichen. Für Rücksicht mangelte es ihr an Kraft. Für Vernunft fehlten die Nerven. Die Aussicht, gleich ihren Sohn in die Arme schließen zu können, ließ sie auftreten wie eine Furie. Sie war so sicher, dass es sich bei diesem Rafet um den richtigen Bräutigam handeln musste, dass sie alle Bedenken über Bord warf und durch die geöffnete Tür in das fremde Haus trat.
    Alles passte: Der Mann war Schneider – wie Moah Talabani auch   –, er war Kurde und lebte in Fatih, einem der traditionellsten Stadtteile Istanbuls. Sogar das Alter passte, laut Aussage des Gottesmannes war er noch keine dreißig. Wasmuth hatte sie zurückhalten wollen, hatte etwas von intimen Ritualen gefaselt, die sie unmöglich stören dürften, vor allem er als Mann nicht, aber Wencke hatte ihn einfach auf der Straße stehen lassen. Sie wusste inzwischen, wohin sie gehen musste.
    In der weiß getünchten Eingangshalle roch es seltsam nach Gras oder Heu, aus dem Zimmer am hinteren Ende hörte sie eine Mischung aus Gesang und Geheule. Sie feierten die Hennanacht, davon hatte Wasmuth erzählt. Wencke zögertenicht, mit schnellen Schritten durchquerte sie den Raum, stellte sich in die geöffnete Tür und versuchte, die befremdliche Szene, die sich ihrem Blick bot, irgendwie zu verstehen. Ungefähr zwanzig Frauen, jung und alt, saßen im Kreis auf dem Boden, sangen und weinten gleichzeitig. In ihrer Mitte hockte eine Gestalt unter einem Tuch, bewegte sich kaum und ließ sich die Hände bemalen. Alle schienen in einer Art Trancezustand versunken, es dauerte etliche Sekunden, bis eine der Frauen Wencke überhaupt bemerkte. Sie stand auf, blickte irritiert, stieß ihre Sitznachbarin an, diese stellte Wencke eine Frage, die für sie natürlich unverständlich war. Erst nach und nach begriff die kleine Festgemeinde, dass Wencke eine Fremde war, die hier nichts zu suchen hatte. Die alte Frau, die den Pinsel in der Hand geführt hatte und Gastgeberin zu sein schien, kam auf Wencke zu.
    »Roza?«, fragte Wencke und zeigte auf die Erhebung unter dem Schleier. »Ist das Roza Talabani aus Deutschland?«
    Die Blicke waren nun alles andere als freundlich, und eine Antwort bekam Wencke nicht. Niemand schien ihre Sprache zu sprechen, auch die versteckte Braut reagierte nicht auf die deutschen Worte. Sie zog den Brief hervor, den Rafet an Roza geschrieben hatte, hielt ihn hoch, zeigte darauf. »Rafet? Lebt hier der Bräutigam Rafet?« Die alte Frau griff nach dem Papier, las flüchtig die Zeilen und machte ein Gesicht, als hätte eine Beleidigung darin gestanden. Mit nach unten verzogenen Mundwinkeln warf sie einen abschätzigen Blick auf den Brief, knüllte ihn zusammen und warf ihn Wencke vor die Füße.
    Die bückte sich danach und steckte ihn wieder

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