Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Todesbraut

Titel: Todesbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
sein.
    »Sitzt denn die Feindschaft zwischen Kurden und Türken tatsächlich so tief in allen?«
    »Vielleicht war dieser Mann direkt betroffen, was weiß ich?«
    »Sie meinen diese Anschläge der PKK und ihrer Ableger?
Kesîbtîya mewcûdbûna Kurdistanê
zum Beispiel?«
    Er blieb wie angewurzelt stehen, und seine Augen schienen sich zusammenzuschieben, als er sie ansah. »Sie wollen jetzt nicht ernsthaft mit mir über das Kurdenproblem diskutieren?«
    »Warum nicht? Vielleicht führt uns das ja weiter?«
    »Sie haben doch keine Ahnung! Wir sollten die Zeit lieber nutzen, Ihren Sohn zu finden, bevor es zu spät ist.«
    »Zu spät? Was meinen Sie damit?«
    »Nichts!« Es gelang ihm nicht zu vertuschen, dass er sich gerade verplappert hatte.
    »Wasmuth, Sie wissen mehr, als Sie mir erzählen! Ist es so? Reden Sie! Haben Sie eine Ahnung, wo Emil steckt? Ist er in Gefahr?«
    »Langsam gehen Sie mir auf gut Deutsch gesagt richtig auf den Geist! Ich wäre gerade fast in eine Prügelei geraten Ihretwegen! Und ich habe keine Ahnung, warum ich das eigentlich alles mitmache.« Er lief weiter. Dieser Mann schien aufgeladen zu sein wie ein Defibrillator, das kleinste falsche Wort reichte, und seine Spannung entlud sich. Was war mit Wasmuth los?
    Sie versuchte, das Thema zu wechseln. »Nun bleibt nur noch ein Rafet übrig.« Und wenn der ebenfalls nichts von einer Roza wusste, dann wäre ihre einzige Spur nichts weiter gewesen als eine ärgerliche Zeitverschwendung, fügte sie in Gedanken hinzu.
    Es war unmöglich, im Gewühl der Kaufwütigen einen klaren Gedanken zu fassen, also verzogen Wencke und Wasmuth sich in Richtung Schiffsanlegestelle, die am Fuß des Bazarviertels lag. Die frische Meeresluft und einsetzende Abenddämmerung brachten nach der stickigen Hitze in den engen Marktgassen die ersehnte Kühle. Der erste Tag in Istanbul neigte sich langsam dem Ende zu. Wencke war wild entschlossen, trotz wunder Fußsohlen und brennender Augen nicht aufzugeben. Noch war die Sonne nicht untergegangen. Möwen und Tauben triebensich auf dem grauen Asphalt herum, pickten Essensreste auf und scherten sich nicht um die vielen Beine, die um sie herum zu den Fähranlegern eilten.
    Wasmuths Gemüt hatte sich zum Glück ebenfalls etwas abgekühlt. Er zeigte über das breite Gewässer, das sich jenseits der Kaimauern zeigte. Das andere Ufer lag im Dunst der Abendluft. »Wir können jetzt eine Fähre nehmen und über den Bosporus fahren. Dort wohnt der letzte Rafet   …«
    »Was wissen wir über ihn?«
    »So gut wie nichts. Aber ich schätze, er ist arm.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Alle, die an einer Massentrauung teilnehmen, machen es, weil sie Geldprobleme haben. Sie verschaffen sich durch die Großveranstaltung wenigstens die Illusion einer stattlichen Hochzeit. Zudem scheint er weder lesen noch schreiben zu können, den Brief musste er diktieren. Laut Liste in der Moschee ist er auch nicht mehr der Jüngste. Neununddreißig, also dreiundzwanzig Jahre älter als seine Braut.«
    »Arm, ungebildet und nicht mehr der Jüngste   … Warum wählt Moah Talabani einen solchen Mann für seine Tochter?«
    Wasmuth löste Fährtickets am Automaten. »Wahrscheinlich, weil sie schwer vermittelbar ist.« Er drückte Wencke einen silbernen Chip in die Hand und schleuste sie Richtung Fähre. Sie passierten das Drehkreuz.
    »Was sagen Sie da? Schwer vermittelbar? Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
    »Ich habe mir das nicht ausgedacht, und glauben Sie mir, es tut mir für Roza unendlich leid, dass ihre Familie das so sieht. Aber durch die Entstellung nach dem schrecklichen Unfall wird man für sie keinen hoch angesehenen Ehemann mehr finden. Wahrscheinlich empfindet ihr Vater sogar so etwas wie Erleichterung, dass ein Neffe das Mädchen trotz allem zur Braut nehmen will.«
    Über wackelige Stege balancierten sie an Bord und suchten sich einen freien Platz an Deck. Die vielen Menschen sahen erschöpft aus und erinnerten Wencke an die Pendler, die sie gestern auf dem Weg nach Misburg gesehen hatte. Ein anstrengender Arbeitstag hinterließ überall auf der Welt ähnliche Spuren auf den Gesichtern der Menschen. Kurz darauf legte das Schiff ab, verließ Europa, und war nur wenige Minuten unterwegs zu einem anderen Kontinent. Die Passagiere zeigten sich unbeeindruckt davon. Und Wencke war zu sehr mit dem beschäftigt, was in der Familie Talabani vor sich ging. Es musste etwas Furchtbares dahinter stecken, etwas, das es nötig machte, einen unschuldigen

Weitere Kostenlose Bücher