Todesbrut
Familie mit Fleisch versorgt, aber jetzt wusste sie, der Text war ganz anders gemeint. Viel grundsätzlicher. Ja. Vielleicht brauchten Kinder einen Vater wie Herrn Gärtner. Der schien ihr bereit zu sein, für seinen Sohn zu töten. Er machte kein großes Ding daraus. Er tat jetzt einfach, was getan werden musste, oder zumindest, was er für richtig hielt, und sie merkte an seinen klar abgezirkelten Bewegungen, er wusste genau, was er tat, und er war bereit, genau so weit zu gehen, wie er gehen musste, um seinen Sohn zu schützen. Ja, dieser Mann würde töten, um sein Kind vor Schaden zu bewahren. Sie beneidete Thorsten um diesen Vater. Ihr war zum Heulen zumute. Wer wäre bereit, so etwas für sie zu tun?
Sie hatte immer Kontakt zu starken, jungen Männern gesucht. Machos zogen sie an. Jetzt, da sie Herrn Gärtner erlebte, wurde ihr klar, dass die bodybuildinggestählten Sixpacktypen, die sie kannte, im Grunde nur Witzfiguren waren, die genau das darzustellen versuchten, was Herr Gärtner in Wirklichkeit war. In diesem Moment konnte sie sich vorstellen, mit ihm durchzubrennen und seine Geliebte zu werden, aber sie musste sich gleichzeitig schmerzhaft eingestehen, dass sie eigentlich nicht seine Geliebte werden wollte, sondern viel lieber seine Tochter.
Gärtner hebelte den Kellerzugang auf. Er hielt ein Gitter hoch. Sein Sohn fragte: »Und wenn die noch da drin sind?«
»Die sind da drin!«, behauptete Eddy und Justin nickte.
»Ja, willst du die umbringen, oder was?«, fragte Thorsten seinen Vater.
Der schüttelte den Kopf. »Nein. Ich frage sie, ob sie dich im Gefängnis besuchen kommen oder dir mal einen Kuchen reinschmuggeln, wenn du Geburtstag hast.«
Thorsten zitterte. Durch einen Luftwirbel erhob sich hinter ihm schwefelhaltiger gelber Rauch zu einer fast menschlichen Figur. Gut zwei Meter hoch, mit schmalen Hüften, breiten Schultern, herabhängenden Armen und einem länglichen Kopf. Dann brach die Gestalt in sich zusammen, zu einem Ball, der immer eiförmiger wurde.
»Wir gehen jetzt hier rein und vernichten alle Beweise«, sagte Niklas Gärtner.
Eddy mischte sich ein: »Aber wir hinterlassen doch überall neue Spuren. Haare, Fingerabdrücke, Hautpartikel. Die können das alles feststellen, die Spurensicherung …«
Gärtner drehte sich kurz zu Eddy um und wischte seine Einwände weg: »Ja, ich habe auch CSI Miami gesehen. Aber das hier ist die Wirklichkeit. Keine Fotos, keine Filmaufnahmen. Keine Beweise.«
Niklas Gärtner stieg hinab in den Keller. Corinna folgte ihm als Erste, dann Eddy, Justin und zuletzt Thorsten.
Es war ein aufgeräumter Keller, weiß gestrichene Wände, Regale voll mit Aktenordnern. In einer Ecke lagen ausrangierte Gestelle mit Saugnäpfen, damit wurden sonst Eier maschinell verpackt und einsortiert. An den Decken Neonröhren.
Niklas Gärtner tastete die Wand nach einem Lichtschalter ab. Er wollte quer durch den Raum zur Tür gehen. Dort musste ein Lichtschalter sein.
Bevor er dort ankam, wurde es blitzartig hell. Eddy hielt sich die Hand vors Gesicht.
»Guten Abend, Herr Gärtner. Willkommen in meiner bescheidenen Hütte. Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?«, spottete Ubbo Jansen.
Das Gewehr in seinen Händen bewegte sich nervös. Mal richtete er die Mündung des Zwillings auf Thorsten Gärtner, dann wieder auf dessen Vater. Noch hatte Ubbo Jansen sich nicht entschieden, wer von den beiden der Gefährlichere war.
»Wir kommen in friedlicher Absicht, Herr Jansen. Bitte legen Sie die Waffe weg. Wir haben die Flammen gesehen und …«
Ubbo Jansen lachte bitter und zielte auf Niklas Gärtners Kopf. »Und Sie sind jetzt gekommen, um zu löschen?«
Niklas Gärtner nahm die Waffe ernst, er hob vorsichtig die Hände.
Justin und Eddy stellten sich so, dass Gärtners Körper ihnen den größtmöglichen Schutz bot. Corinna registrierte das. Sie selbst fürchtete sich nicht vor einem Treffer. Ubbo Jansen würde nicht auf sie schießen. Sie wusste, er hatte eine Tochter in ihrem Alter. Männer wie er gingen vielleicht rücksichtslos gegen andere Männer vor, nicht aber gegen Frauen, hoffte sie.
Sie machte einen Schritt nach vorn und es lief ihr heiß den Rücken hinunter, weil Ubbo Jansen nun doch die Mündung der doppelläufigen Schrotflinte auf ihren Bauch richtete.
»Wir sind gekommen, um Ihnen zu helfen«, sagte Niklas Gärtner.
Akki hatte sich mit einem Küchenmesser bewaffnet, doch nun hätte er es am liebsten weggeworfen. Er fiel auf Gärtners Worte herein
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