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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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lenkte ihn etwas ab. Der Leuchtturm. Er musste da hoch. Von dort oben hoffte er wieder den Überblick zu gewinnen und vielleicht würde dort oben alles wieder gut werden. Vielleicht … Hoffentlich … Bestimmt …

 
    30 Auch Charlie zog inzwischen die Sicherheit seines Golfs vor. Er hielt Scheiben und Türen verschlossen. Natürlich machte er die Klimaanlage nicht an. Aber er hörte Radio.
    Die Bundesregierung hatte die Situation unter Kontrolle und es bestand kein Grund zur Panik. Es hörte sich aus seiner Sicht wie eine Satiresendung an, war aber vermutlich ernst gemeint. Ein Wissenschaftler vom Robert-Koch-Institut, mit beruhigendem Timbre in der Stimme, gab Anlass zu Hoffnungen. Das Virus sei bereits isoliert und ein Impfstoff in der Erprobungsphase. Es sei nur noch eine Frage von wenigen Tagen und ein wirksames Mittel würde zur Verfügung stehen. Bis dahin riet er, Menschenansammlungen zu meiden, sich nicht mehr die Hände zu schütteln, Türklinken und Tische regelmäßig zu desinfizieren und beim Niesen nicht die Hand vor die Nase zu halten, sondern stattdessen die Armbeuge als Abfanginstrument für ansteckende Viren zu benutzen. Ja, er sagte »Abfanginstrument«.
    Eberhard Thiele, ein älterer Herr mit schwarzen Rändern unter den Augen und offensichtlich Gebissträger, klopfte an Charlies Scheibe. Der zuckte erschrocken zusammen. Der Mann sah für ihn aus wie der lebende Beweis dafür, dass der Mensch vom Fisch abstammte. Dieser speziell vom Karpfen. Er deutete Charlie an, er möge bitte die Scheibe herunterlassen, doch Charlie dachte gar nicht daran. Er schüttelte stumm den Kopf.
    »Bitte, wir sind alte Leute, die Zugfahrt war eigentlich schon zu viel für meine Frau und mich. Lassen Sie uns in Ihren Wagen. Wir sind gesund.«
    Wenn die gesund sind, dachte Charlie, dann bin ich Heidi Klum. Aber selbst wenn sie ein amtliches Gesundheitszeugnis hätten vorweisen können, wäre er nicht auf die Idee gekommen, sie in sein Fahrzeug zu lassen. Wenn er schon jemanden retten sollte, dann lieber diese Margit Rose oder die Girlies. Für Lukka hätte er sofort die Tür aufgerissen.
    Er erwischte sich bei diesen Gedanken und war froh, dass man sie ihm nicht ansehen konnte. Er hatte das Gefühl, seine Mutter hätte sich für ihn geschämt. Was war sein Kriterium dafür, einen Menschen zu retten und einen anderen nicht? Schönheit? Jugend? Geschlecht?
    Im Radio machte sich ein Schulleiter Luft: »Ich habe schon damals bei der Schweinegrippe, als die ersten Gesundheitstipps veröffentlicht wurden, sofort versucht, die empfohlenen Maßnahmen zur vorbeugenden Seuchenbekämpfung an unserer Schule ernst zu nehmen. Aber das war nicht umzusetzen. Und jetzt ist es nicht anders: Ich soll unsere Schüler dazu veranlassen, sich mindestens dreißig Sekunden lang mit warmem Wasser die Hände zu waschen. Dabei sollen sie sich auch zwischen den Fingern einseifen und für ordentlich Schaum sorgen. Ja, klasse Idee, aber meine Schule hat auf den Toiletten weder warmes Wasser noch Seifenspender. Natürlich auch keine Papierhandtücher, sondern se ein Warmluftgerät, unter dem die Hände abgetrocknet werden sollen. Eine bessere Virenschleuder gibt es gar nicht. Fast muss ich sagen, zum Glück fiel das Ding der Zerstörungswut meiner Schüler zum Opfer. Sechs Wochen lang habe ich Anträge an die Kreisverwaltung gestellt, ich bräuchte Seifenspender, Seife und Papiertücher. Von warmem Wasser wollte ich gar nicht erst anfangen. Bei uns in der Lokalzeitung standen Leserbriefe: Die Schüler sollten sich die Hände desinfizieren. Ja, verdammt, womit denn? Natürlich hätte man damit die Schweinegrippe an unserer Schule verhindern können. Das ist die primitivste, simpelste, billigste Seuchenvorkehrung. Aber keiner konnte mir helfen, keiner war zuständig.«
    Der Mann mit dem Karpfengesicht draußen am Wagen öffnete sein Portemonnaie und nahm Geldscheine heraus. Er hielt sie gegen die Scheibe. Es waren zwei Zwanziger.
    »Ich habe Geld. Ich bezahle Sie gerne.«
    »Sieht meine Schrottkarre so arm aus, dass Sie glauben, ich verkaufe Sitzplätze?«
    Unbeirrt wühlte der Mann mehr Scheine hervor, dabei atmete er mit offenem Mund und vorgestülpten Lippen. Er wedelte jetzt mit gut zwei- bis dreihundert Euro vor Charlies Windschutzscheibe herum.
    »Bitte! Bitte helfen Sie uns!«
    Der Schulleiter im Radio ereiferte sich. »Das war ein Bürokratendschungel zwischen verschiedenen Ämtern und Verantwortlichkeiten. Ich habe als Schulleiter nicht mal die

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