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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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fixierte er Ulf Galle. Leon stellte sich vor, wie es wäre, den Mann aus dem Wagen zu schmeißen und ohne ihn weiterzufahren. War das nicht ein bisschen wie das Entern eines königlichen Schiffes durch Freibeuter?

 
    29 Chris wusste gar nicht, wo sie sich lassen sollte. Sie hatte das Gefühl, alles falsch zu machen und doch nichts zu tun. Draußen am Kai, wo eigentlich die Fähre hätte anlegen sollen, standen jetzt Trauben streitender Menschen. Einige brüllten sich an. Andere starrten wie Zombies mit Fernweh aufs Wasser.
    Die Leiche von Lars Kleinschnittger wurde geborgen und der Polizist Griesleuchter saß im Schneidersitz wie ein meditierender Buddha mitten in dem Gewühl auf dem Boden und zeichnete etwas in sein Notizbuch. Die meisten Menschen glaubten vermutlich, er schreibe etwas auf. Aber Chris sah über seinen Rücken in das Heft. Er zeichnete einen Menschen, der an einer Dalbe zerquetscht wurde. Dann schraffierte er mit seinem Liquid Fine Liner das ansteigende Wasser. Er ließ den Mann im wasserfesten Marineblau seines Kugelschreibers ertrinken.
    Etwas an seiner Haltung signalisierte Chris, dass er Hilfe brauchte. Er stand unter Schock. Sie hatte in ihren Krimis von Menschen gelesen, die nach einem Erlebnis, das sie nicht verarbeiten konnten, wie einem Flugzeugabsturz, einem Unfall oder einem Verbrechen, einfach völlig orientierungslos durch die Gegend liefen oder sich irgendwo hinsetzten und ihren Pullover aufribbelten. Oder jemand begann den Rasen zu mähen, nachdem seine ganze Familie ausgerottet worden war. Die Menschen wurden mit ihrer Situation nicht fertig und taten etwas völlig Unsinniges.
    In solch einem Zustand schien Griesleuchter sich zu befinden. Chris fühlte sich ihm sofort verbunden, als sie seine Zeichnung sah. Sie erinnerte sich daran, wie ihr im Abitur, mitten in der Mathe-Klausur, klar wurde, dass sie den falschen Lösungsansatz für die Aufgabe gewählt hatte und folglich alles, was sich daraus ergab, Müll war. Statt die Zeit zu nutzen und den Fehler zu korrigieren, malte sie Kringel in ihr Heft. Geradezu zwanghaft musste sie Kästchen ausmalen und dann unter kreisenden Strichen verschwinden lassen.
    Sie setzte sich zu Oskar Griesleuchter. Er hatte ein Kindergesicht. So musste er als Junge ausgesehen haben, trotzig, verträumt und eigensinnig. Sie sprach ihn an, aber er reagierte nicht, sondern zeichnete ganz in sich selbst versunken weiter.
    Chris legte eine Hand auf seine Schulter und es war, als würde sie ein Kind berühren. Ja, sie wurde geradezu von Muttergefühlen zu ihm durchflutet, obwohl er vier Jahre älter war als sie und mindestens zehn Jahre älter aussah.
    »Sind Sie okay?«, fragte sie. »Kann ich etwas für Sie tun?«
    Er lächelte sie an, ohne sie wirklich zu sehen. Er schaute durch sie hindurch.
    Holger Hartmann stand, bewaffnet mit seinem Golfschläger, neben den beiden. Er hatte das Brett weggeworfen, mit dem er Lars Kleinschnittger ins Wasser gestoßen hatte. Am liebsten hätte er sich entschuldigt, aber er wusste nicht genau, bei wem. Ihm war zum Heulen zumute und das machte ihn schon wieder zornig.
    Die Art, wie Chris sich dem Polizisten zuwendete, berührte ihn. So etwas wünschte er sich auch, einen Menschen, der nett zu ihm war, wenn er Schwäche zeigte. Er war mit der Erfahrung groß geworden, dass man dann auf ihm herumtrampelte, deshalb weigerte er sich, schwach zu sein. Nicht einmal vor sich selbst ließ er das Gefühl der eigenen Schwäche zu. Lieber prügelte er sich, spielte den coolen Draufgänger und teilte aus, statt einzustecken.
    »Der ist dazu da, dir zu helfen, Mädchen, nicht umgekehrt!«, maulte Hartmann angriffslustig. Chris beachtete ihn gar nicht. Das machte ihn noch wütender. War er nicht einmal einen Blick wert?
    Der Nordseewind hob ihr Leinenkleid an und ein braun gebrannter Oberschenkel und der Ansatz von ihrem Slip waren zu sehen.
    »Warum kriegen solche Typen immer die tollen Frauen?«, fragte Hartmann laut.
    Chris drehte ihm demonstrativ den Rücken zu. Auf solch einem Niveau wollte sie sich nicht auf einen Streit einlassen.
    »Oskar!«, brüllte Jens Hagen neben dem Streifenwagen. »Oskar! Verdammt, wo bist du? Mach jetzt hier nicht die Mücke. Ich dreh sowieso schon am Rad.«
    Chris winkte ihm.
    »Ihr Kollege ist hier.«
    »Gott sei Dank!« Hagen rannte auf sie zu. Er wurde von einem Touristen an der Uniformjacke festgehalten. »Moment! Jetzt erklären Sie mir erst mal …«
    Jens Hagen stieß den Mann weg. Der rief wütend

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