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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Beifahrersitz. »Komm, Martha! Schnell! Ich habe Plätze für uns!«
    Wie ein Karpfen an Land schnappte er nach Luft.
    Aber schon war Lukka wieder da. Ihre roten Haare schienen elektrisch geworden zu sein, so wirr standen sie ab.
    Sie kämpfte mit dem Platzräuber und glaubte, gegen den alten Herrn leichtes Spiel zu haben, aber das war ein Irrtum. Der ehemalige Fußballer verpasste ihr einen Tritt, dass sie zwischen den Stoßstangen der gegenüberstehenden Lkws auf dem Boden landete.
    »Wieso soll die weniger ansteckend sein als wir? Weil die so schöne lange Beine hat?«, fragte er Charlie und guckte böse.
    Lukka stand auf. Der Fahrer eines der beiden Lastwagen, er fuhr Tiefkühlkost, sah sie an, als wolle er sie mit den Blicken ausziehen und nackt auf seinem Kühler tanzen lassen. Sein Beifahrer schnalzte mit der Zunge.
    Lukka strich ihr Kleid glatt. Die beiden würden ihr sofort einen Platz für Sex anbieten. Das war ihr klar.
    Sie hörte ihren Namen rufen. Antje und Regula suchten sie. Das herannahende Klappern ihrer Schuhe klang wie ferne Schüsse.
    »Hier bin ich, hier! Bei dem Kühlwagen. Ich habe ein Auto für uns. Kommt schnell!«
    Martha Thiele war inzwischen bei ihrem Mann. Sie war eine friedliche Frau. Harmoniebedürftig und sensibel. Sie konnte solchen Streit überhaupt nicht ertragen.
    Sie versuchte auf ihren Mann einzuwirken. »Lass doch, Eberhard, das kann sowieso alles nicht mehr lange dauern. Wir wollen uns jetzt doch nicht um die Plätze zanken …«
    »Oh doch, genau das wollen wir!«, brüllte er zurück.
    Wie oft hatte er ihretwegen schon klein beigegeben? Um des lieben Friedens willen hatte er seinem Nachbarn immer wieder stillschweigend erlaubt, den Fußweg zu ihrer Terrasse zuzuparken. Und wenn der Nachbar am Sonntagmittag den Rasen mit seinem lauten, stinkenden Benziner mähte, beschwerte er sich nicht. Wenn die missratenen Sprösslinge von gegenüber sturmfreie Bude hatten und ihm bis in die Morgenstunden laute Musik und Haschischduft die Nachtruhe nahmen, dann hielt er den Mund und petzte nicht, wenn die Eltern von ihrem Kurztrip nach Hause kamen. Er biss die Zähne zusammen und schwieg, weil seine Martha in der Nachbarschaft keinen Streit wollte … Aber jetzt musste er sich wehren. Hier und heute ging es nicht anders. Die Härte des Lebens hatte sie erbarmungslos eingeholt.
    Regula ging rücksichtslos vor. Sie griff von hinten in die Haare ihrer Platzkonkurrentin und riss so fest daran, dass Martha Thiele auf den Rücken stürzte.
    Antje wollte vor ihren Freundinnen nicht die uncoole Versagerin sein. Sie verpasste der alten Dame einen Tritt in die Rippen. Dann stand sie – erschrocken über sich selbst – mit offenem Mund da und hoffte, der Frau nichts gebrochen zu haben.
    Eberhard Thiele hatte sich in seiner Jugend oft und gern geprügelt, aber das war lange her und eine Frau hatte er noch nie im Leben geschlagen. Etwas hemmte ihn, das ihm jetzt vorkam wie ein Gendefekt. Er wollte zuschlagen, aber er schaffte es nicht.
    Regula verpasste ihm zwei Fausthiebe ins Gesicht. Sein Gebiss flog in hohem Bogen auf den Boden und rutschte unter den Kühlwagen. Thiele hob die Fäuste, tänzelte wie Klitschko im Ring, aber er konnte nur einstecken, nicht kontern. Der Wille war da, er wollte tapfer sein und sich und seine Frau retten, aber dann blieb er mit hängenden Schultern stehen. Tränen kullerten über seine Wangen, er schämte sich und wagte es nicht, zu seiner Frau zu schauen, die auf allen vieren über den Boden kroch und versuchte, sich in Sicherheit zu bringen, voller Angst, erneut getreten zu werden.
    Währenddessen lief laut das Autoradio. Es wurde von einem Familienvater berichtet, der von Passagieren aus einem Intercity geworfen wurde, weil er »fiebrig aussah«. Dabei war sein neunjähriger Sohn im Zug zurückgeblieben – der nun am Zielbahnhof von seiner Mutter vermisst wurde. Niemand wusste, wann und wo das Kind ausgestiegen oder vielleicht ausgesetzt worden war.
    Ein Sprecher des Robert-Koch-Institutes klärte auf, das Gefährliche an jedem Grippevirus sei, dass infizierte Menschen, lange bevor sie irgendwelche Krankheitssymptome spürten, also auch, bevor sie eine erhöhte Temperatur aufwiesen, schon hochansteckend waren. Niemand könne also wissen, ob ihm eine infektiöse Person gegenüberstand oder nicht. Das massenhafte Fiebermessen, wie es im Moment in Hamburg und München auf Flughäfen, in Behörden und auf Bahnhöfen geschah, sei sinnlos. Auch sei nicht jede erhöhte

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