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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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geschah. Sie unterhielt sich mit Maschinen und sie beschlich das Gefühl, dies sei nur vertane Zeit.
    Während sie telefonierte, lief die ganze Zeit der Fernseher. In einer Hand hielt sie das Handy, in der anderen die Fernbedienung. Sie switchte von Programm zu Programm, um etwas Neues zu erfahren.
    Ein Pressesprecher aus dem Gesundheitsministerium Niedersachsen, der aussah, als sei er soeben erst zum Pressesprecher ernannt worden und habe noch ein paar Probleme, in die Rolle zu finden, verkündete schlimme Dinge, grinste und lachte aber dabei, was vermutlich beruhigend wirken sollte. Er war schlaksig, hatte etwas von einer Comicfigur und bewegte sich in seiner Unsicherheit übertrieben tuntig, was ihm während des Gesprächs scheinbar klar wurde. Dadurch drehte er immer noch mehr auf und machte alles noch schlimmer.
    Die Aggressivität des Virus sei in der Tat ungewöhnlich. Dadurch entstehe eine hohe Mortalitätsrate. Er sagte wörtlich: »Aber ich würde das nicht dramatisieren. Auch an der ganz normalen Grippe sterben jährlich in Deutschland zwanzig- bis dreißigtausend Menschen … Dabei«, führte er weiter aus, »wäre jeder Mensch mit einem kleinen Piks dagegen gewappnet. Trotz der jährlich auftretenden Todesfälle meiden aber viele Leute die Grippeimpfung, weil sie die Nebenwirkungen fürchten, sprich ein, zwei Stunden erhöhte Temperatur und ein Mattigkeitsgefühl. Was das neue Virus so gefährlich macht, dass manche Menschen es Teufelsbrut nennen … ein völlig unwissenschaftlicher Begriff …«, er ruderte mit den Armen, als wolle er gleich davonfliegen, »also, was es so gefährlich macht, ist auch gleichzeitig seine größte Schwäche. Ein Virus, das seinen Wirt binnen weniger Tage tötet, nimmt sich damit die Möglichkeit der weiteren Ausbreitung. Unsere vorrangige Aufgabe ist es also, eine weitere Ansteckungswelle zu vermeiden. Glücklicherweise ist der Ausbruch im Moment auf wenige Regionen begrenzt. Die Großräume Emden und Wilhelmshaven sind weiträumig abgesperrt. Es hat inzwischen auch Vorkommnisse in Bayern und Nordrhein-Westfalen gegeben, über die Entscheidungen der dort zuständigen Landesbehörden bin ich aber noch nicht informiert.«
    Er gab sich große Mühe, doch entgegen all seinen Versuchen, die Gefahr zwar zu nennen, aber auch herunterzuspielen, lief, während er weitersprach, am unteren Bildrand ein Nachrichtentext. »Der Flughafen Düsseldorf ist komplett gesperrt worden. Mehrere Hotels in Flughafennähe stehen unter Quarantäne. Der Düsseldorfer Hauptbahnhof wird im Moment von der Polizei abgeriegelt.«
    Das war der endgültige Beweis: Das Virus hatte den Sprung auch in andere Regionen der Republik vollzogen. Das Bild des Pressesprechers verschwand und Einsatzfahrzeuge der Polizei wurden sichtbar, die mit Blaulicht vor dem Düsseldorfer Hauptbahnhof standen. Die eingeschlossenen Menschen versuchten einen Ausbruch aus dem Gebäude. Sie warfen mit Flaschen nach den Polizeibeamten.
    Chris hatte das Gefühl, dass die Poren ihrer Haut sich öffneten und wie in der Sauna bei neunzig Grad schlagartig Schweißtropfen freigaben. Sie ließ die Fernbedienung aufs Bett fallen und stieg aus ihrem hellen Leinenkleid.
    Vielleicht, um überhaupt wieder mit einem Menschen sprechen zu können, rief sie ihren Benjo an. Doch schon beim ersten Klingeln, noch bevor er hätte abheben können, unterbrach sie das Gespräch. Was sollte sie ihm sagen? Dass sie ihm keine Hoffnung machen konnte?
    Sie biss sich in den Handrücken. Nein, das ging nicht. Er brauchte jetzt eine Hoffnung. Etwas Positives. Sie spürte den Impuls, das Handy wütend gegen die Wand zu werfen, aber sie tat es nicht, denn dies war der einzig mögliche Kontakt zu Benjo.
    Um ihn nicht enttäuschen zu müssen, schickte sie ihm eine SMS: Ich bin dran! Alles wird gut. Du bist mein Held. Chris.
    Sie stand nur noch in ihrem weißen BH und den Panties da, was von Oskar Griesleuchter auf dem Leuchtturm zur Kenntnis genommen wurde. Etwas in ihm versprach ihm sogar: Das macht sie für dich. Sie weiß, dass du ihr zuschaust. Sie genießt es.
    Die Bilder des toten Lars Kleinschnittger spukten durch seinen Kopf und machten ihn irre. Er hörte ein Dröhnen, das tief aus ihm selbst kam.
    Er schlug sich gegen den Kopf. Der Schmerz tat gut.
    Er spürte, etwas, das nicht er war, versuchte, die Führung in ihm zu übernehmen. Wie eine außerirdische Macht, die sich seines Körpers bediente.
    »Nein!«, schrie er. »Das macht sie alles nicht für mich!

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