Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
Vom Netzwerk:
Sie weiß gar nicht, dass ich sie beobachte! Sie würde stinksauer werden, wenn sie nur eine Ahnung hätte! Stinksauer!«

 
    38 Lukka hatte noch nie im Leben einen Kinnhaken bekommen. Ihre Zahnreihen waren hart gegeneinandergeschlagen. Die schöne Symmetrie ihres Gesichts war durch eine Schwellung an der linken Wange aufgehoben. Die Haut verzog sich, wie bei einer Stoffpuppe, die aufgeplatzt und dann falsch zusammengenäht worden war. Der Kiefer war ausladend dick. Sie schmeckte ihr eigenes Blut im Mund. Sie fand es ekelhaft und spuckte immer wieder in ein neues Papiertaschentuch. Der Fußraum vor ihr war schon übersät mit blutigen Tüchern.
    Antjes Vorrat war aufgebraucht, zumal sie selbst Schwierigkeiten hatte mit den Kratzspuren, die die lackierten Fingernägel der alten Dame in ihrem Gesicht hinterlassen hatten.
    Charlie hielt sich krampfhaft am Lenkrad fest. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen. Am liebsten hätte er jetzt geraucht, nur, um irgendetwas in den Fingern zu haben. Er fuhr immer wieder mit den Händen am Lenkrad entlang, ganz so, als müsse er das Auto streicheln. Sein Mund war ausgetrocknet. Er hatte eine Flasche Wasser im Wagen, überlegte aber, dass er, wenn er jetzt daraus trank, den Frauen auch etwas anbieten musste. Noch vor einer Stunde hätte er alles getan, um Lukka ins Bett zu kriegen, aber jetzt ekelte er sich davor, mit ihr aus derselben Flasche zu trinken.
    »Ich krieg bestimmt ’ne Blutvergiftung«, jammerte Antje, »das geht nie wieder weg! Die hat mir mein Gesicht entstellt! Ich seh aus wie ein Student einer schlagenden Verbindung, der sich beim Fechten eine Mensur geholt hat.«
    »Die Alte hat mir den Kiefer gebrochen«, hustete Lukka und schluckte wieder ihr eigenes Blut.
    Regula saß in die äußerste Ecke der Rückbank geklemmt. Sie hielt die Hände wie zum Gebet gefaltet und drückte sie gegen ihre Brust. Die Knie hatte sie an den Körper gezogen, als müsse sie sich schützen. Ihre Haltung hatte etwas Vogelartiges an sich. Sie verbarg ihr schweißüberströmtes Gesicht und zitterte.
    Regula wusste, dass sie krank war. Etwas wütete in ihrem Körper. Es fühlte sich schlimmer an als der ärgste Kater ihres Lebens, damals, vor sechs Monaten, als sie in der Susemihl-Klinik wach wurde und von Dr. Maiwald erfahren musste, dass eine Flasche Wodka für ihren Organismus einfach zu viel gewesen war. Sie nannte es »Party machen«, er »Komasaufen«. Es war ihr damals unglaublich peinlich gewesen. Sie wollte in den Augen des Arztes nicht als Problemjugendliche erscheinen, die am Wochenende nichts Besseres zu tun hatte, als sich zuzuknallen. Es war das erste und einzige Mal gewesen. Sie kannte sich mit Wodka nicht aus und in den Cocktails hatte sie den Alkohol kaum geschmeckt.
    Thorsten Gärtner aus der 10a war bei der Schülerparty so elegant mit dem Cocktailshaker umgegangen, sie musste einfach seine Drinks probieren. Entweder hatte Thorsten einen Flirtkurs mitgemacht oder er war ein absolutes Naturtalent. Sie fühlte sich auf ein Podest gehoben, angehimmelt und verehrt. Sie konnte kaum glauben, dass er sie meinte, und sie trank weiter, als sei sie es gewohnt. Irgendwann hatte sie dann einen Filmriss. Sie erinnerte sich noch daran, dass ihr schlecht geworden war, und auf der Toilette hatte die Ohnmacht sie geholt. Wie mit einem riesigen Gong war sie ausgeknockt worden.
    Im Krankenhaus hatte sie Kopfschmerzen gehabt, die vielleicht nur mit einem Zähneziehen ohne Betäubung vergleichbar waren. Aber der Schmerz hielt an und war durch nichts zu stoppen. Schmerzmittel kamen nicht infrage für sie, denn die Leber war ohnehin mit dem Abbau des Alkohols überfordert.
    Jetzt fühlte sie sich ähnlich und von Minute zu Minute ging es ihr schlechter. Sie war merkwürdig geräuschempfindlich. Lukkas und Antjes Geschwätz ging ihr unendlich auf die Nerven. Am liebsten hätte sie Lukka noch einen Schlag auf den angeschwollenen Kiefer verpasst, nur damit sie endlich still war. Aber das tat sie nicht, denn gleichzeitig war ihr bewusst, dass sie Hilfe von den beiden brauchte. Sie traute sich aber nicht, es zu sagen. Sie weigerte sich noch, die Wahrheit anzunehmen: Sie trug dieses Scheißvirus bereits in sich.
    Sie fragte sich, wie die anderen reagieren würden. Flog sie gleich aus dem Auto? Würde sie sich draußen irgendwo in einer Ecke verkriechen können? Oder musste sie befürchten, von den aufgebrachten Touristen auf die Toilette verbannt zu werden, so wie die Familie mit den beiden

Weitere Kostenlose Bücher