Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
den Schlaf verdrängt. Manche Nächte schlief sie überhaupt nicht. Die meisten Nächte schlief sie eine Stunde, nie mehr als zwei, aber sie schien keinen Schlaf mehr zu brauchen, also war es ohne Belang, wie wenig Schlaf sie bekam. Die Gabe verdrängte alles, was das große und geheiligte Werk stören könnte, das ihr aufgetragen war.
    Dennoch erinnerte sie sich an die Namen dieser elf Leute, weil sie die reinsten Mitglieder ihrer Herde waren. Sie waren die Besten der Besten, weithin unbefleckte Seelen, die am würdigsten waren, die schweren Aufgaben auszuführen, die vor ihnen lagen.
    Und dann war da noch ein weiterer Mann in dem Kellerraum. Er hieß Kyle Barlowe. Er war zweiunddreißig, aber er sah älter aus — älter, finster, gemein und gefährlich. Er hatte strähniges braunes Haar, dick, aber ohne Glanz. Seine hohe Stirn endete in einem schweren, vorspringenden Knochen, unter dem seine tiefliegenden braunen Augen wachsam hervorblickten. Er hatte eine große Nase, aber sie war nicht königlich oder stolz; sie war mehr als einmal gebrochen und knollig. Seine Backen- und Kinnknochen waren schwer, grobgeformt wie die Knochenplatte, aus der seine Stirn gehauen war. Obwohl seine Gesichtszüge größtenteils übergroß und unedel waren, waren seine Lippen schmal, und sie waren so blutlos und blaß, daß sie noch dünner schie nen, als sie in Wirklichkeit waren; demzufolge wirkte sein Mund wie ein Schnitt quer durch sein Gesicht. Er war groß, über zwei Meter, mit einem Stiernacken, mächtigen Schultern und dicken Muskelpaketen an Brust und Armen. Er sah so aus, als würde er einen Mann in Stücke brechen können — und so, als würde er genau das häufig tun, einfach weil es Spaß machte.
    Tatsächlich hatte Kyle in den letzten drei Jahren, seit er einer von Grace' Anhängern, später ein Mitglied ihres inneren Kreises und schließlich ihr vertrautester Helfer geworden war, kein einziges Mal gegen jemanden die Hand erhoben. Ehe Grace ihn gefunden und gerettet hatte, war er ein von Launen geplagter, gewalttätiger, brutaler Mensch gewesen. Aber jene Tage waren vorbei. Grace war imstande gewesen, durch Kyle Barlowes abstoßendes Äußeres hin durchzublicken und die gute Seele zu erkennen, die darunterlag. Er war vom Pfad der Tugend abgekommen, ohne Zweifel, aber er war begierig gewesen (auch wenn er das selbst nicht erkannt hatte), auf den rechtschaffenen Pfad zu rückzukehren. Er brauchte nur jemanden, der ihm den Weg wies. Grace hatte das getan, und er war ihr gefolgt. Jetzt würden seine mächtigen Arme und seine steinharten Fäuste keinem tugendhaften Mann und keiner tugendhaften Frau gefährlich werden, sondern nur jene zerschmettern, die die Feinde Gottes waren, und selbst dann nur, wenn Grace ihn anwies, sie zu zerschmettern.
    Grace erkannte die Feinde Gottes, wenn sie sie erblickte. Die Fähigkeit, eine hoffnungslos verderbte Seele auf den ersten Blick zu erkennen — das war nur ein kleiner Teil der Gabe, die Gott ihr verliehen hatte. Der Bruchteil einer Sekunde des Augenkontakts war gewöhnlich alles, was Grace brauchte, um festzustellen, ob ein Mensch gewohnheitsmä ßig von Sünde erfüllt und somit nicht mehr zu retten war. Sie besaß die Gabe. Sonst niemand. Nur sie, die Auserwählte. Sie hörte das Böse in den Stimmen der Verderbten; sie sah das Böse in deren Augen. Vor ihr gab es kein Verbergen.
    Manche Leute hätten, wäre ihnen die Gabe verliehen worden, daran gezweifelt, hätten sich gefragt, ob sie sich vielleicht täuschten oder gar verrückt geworden waren. Aber Grace zweifelte nie an sich oder ihrer Zurechnungsfähigkeit. Niemals. Sie wußte, daß sie etwas Besonderes war, und sie wußte, daß sie in diesen Dingen immer recht hatte, weil Gott ihr gesagt hatte, daß sie recht hatte.
    Der Tag rückte schnell heran, wo sie zu guter Letzt Kyle (und einige der anderen) auffordern würde, viele jener Jünger Satans zu erschlagen. Sie würde auf die Bösen zeigen, und Kyle würde sie vernichten. Er würde der Hammer Gottes sein. Wie wunderbar jener Tag sein würde! Im Keller ihrer Kirche sitzend, auf dem harten Eichenstuhl, vor ihrem innersten Kreis von Gläubigen, durchlief Grace ein wohliger Schauer. Es würde so schön, so befriedigend sein zuzusehen, wie die harten Muskeln des Hünen sich spannten und entspannten, wenn er das Strafgericht Gottes über die ungläubigen Anhänger Satans brachte.
    Bald. Die Zeit rückte heran. Das Zwielicht.
     
    Jetzt flackerte das Licht der Kerzen, und Kyle

Weitere Kostenlose Bücher