Todesdämmerung
sein können und immer noch eine ledige Mutter bin. Sie häuft jedesmal, wenn wir zusammen sind, Schuld auf mich.«
»Nun, jetzt kann ich verstehen, warum Sie da so emp findlich sind.«
»So empfindlich, daß ich... als gestern alles das mit der alten Frau anfing... nun, ich fragte mich im Innersten, ob es vielleicht so bestimmt war.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Vielleicht ist es mir vorbestimmt, Joey zu verlieren. Vielleicht ist es unvermeidbar.«
»Jetzt kann ich Ihnen nicht folgen.«
Sie zögerte und schaffte es, gleichzeitig zornig und bedrückt, verängstigt und verlegen zu wirken. Sie räusperte sich, atmete tief durch und sagte: »Nun, vielleicht bestraft Gott mich dafür, daß ich als Nonne versagt habe, daß ich meiner Mutter das Herz gebrochen habe und daß ich mich von der Kirche entfernt habe, wo ich ihr doch früher einmal so nahe stand.«
»Aber das ist doch...«
»Lächerlich?« bot sie an.
»Nun, ja.«
Sie nickte. »Ich weiß.«
»Gott ist nicht rachsüchtig.«
»Ich weiß«, sagte sie mit einem leichten Lächeln. »Das ist al bern. Unlogisch. Einfach dumm. Und doch nagt es an mir. Alberne Dinge können manchmal wahr sein.« Sie seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich bin stolz auf Joey, ungeheuer stolz. Aber ich bin nicht stolz darauf, eine ledige Mutter zu sein.«
»Sie wollten mir etwas über den Vater sagen... für den Fall, daß er damit zu tun hat. Wie hat er geheißen?«
»Er hat mir gesagt, er hieße Luke, eigentlich Lucius, Unter.«
»Unter was?«
»Das war sein Familienname. Unter. Lucius Unter. Aber er hat gesagt, ich solle Luke zu ihm sagen.«
»Unter. Ein höchst ungewöhnlicher Name.«
»Ein falscher Name. Wahrscheinlich hat er bereits darüber nachgedacht, wie er mich aus meiner Unterwäsche bekommen könnte, als er ihn erfunden hat«, sagte sie zornig, und dann wurde sie rot. Diese persönlichen Enthüllungen wa ren ihr offensichtlich peinlich, aber sie ließ sich nicht beirren. »Es ist auf einem Kreuzfahrtschiff nach Mexiko passiert, auf einem dieser Ausflüge vom Typ Love Boat.« Sie lachte humorlos, als sie das Wort Liebe in diesem Zusammenhang erwähnte. »Nachdem ich aus dem Konvent ausgetreten war und ein paar Jahre als Kellnerin gearbeitet hatte, war diese Reise das erste, was ich mir gönnte. Schon ein paar Stunden nach dem Ablegen in Los Angeles begegnete ich einem Mann. Sehr gutaussehend... charmant. Er sagte, er hieße Luke. Nun, und dann gab eines das andere. Er mußte erkannt haben, wie verletzbar ich war, denn er stieß zu wie ein Hai. Ich war damals völlig anders, müssen Sie wissen, so scheu, eben eine ehemalige Nonne, eine Jungfrau, völlig unerfahren. Wir verbrachten fünf Tage zusammen auf diesem Schiff, und ich glaube, die meiste Zeit in meiner Kabine... im Bett. Ein paar Wochen später, als ich feststellte, daß ich schwanger war, versuchte ich Verbindung zu ihm aufzunehmen. Nicht wegen der Alimente, verstehen Sie; ich dachte nur, er hätte ein Recht, etwas über sein Kind zu erfahren.« Wieder lachte sie bitter. »Er hatte mir eine Adresse und eine Telefonnummer gegeben, aber die waren beide falsch. Ich überlegte, ob ich ihn über die Schiffahrtslinie ausfindig machen sollte, aber das wäre so erniedrigend gewesen.« Sie lächelte bedrückt. »Glauben Sie mir, seitdem habe ich ein sehr behütetes Leben geführt. Selbst bevor ich wußte, daß ich schwanger war, fühlte ich mich von diesem Mann und von dieser armseligen Affäre auf dem Schiff beschmutzt. Ich wollte das nie wieder emp finden, also war ich... nun, nicht gerade eine sexuelle Einsiedlerin ... aber vorsichtig. Vielleicht ist das die ehemalige Nonne in mir. Ganz entschieden jedenfalls ist es die Nonne in mir, die das Gefühl hat, ich müßte bestraft werden, daß Gott mich vielleicht durch Joey bestrafen wird.«
Er wußte nicht, was er ihr sagen sollte. Er war daran gewöhnt, seinen Klienten eine physische, eine emotionale und eine geistige Stütze zu sein, aber er hätte nicht gewußt, wie er auch spirituelle Stütze hätte sein sollen.
»In bezug auf dieses Thema bin ich ein wenig verrückt«, sagte sie. »Wahrscheinlich werde ich Sie mit all meinen Sorgen auch ein wenig verrückt machen. Ich habe die ganze Zeit Angst, Joey könnte krank werden oder bei einem Unfall zu Schaden kommen. Ich rede dabei nicht nur von gewöhnlicher mütterlicher Besorgnis. Manchmal bin ich vor Sorge um ihn beinahe besessen. Und dann taucht gestern diese alte Vettel auf und sagt mir, mein kleiner
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