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Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Barlowe war still, sogar völlig still, obwohl er sich unbehaglich fühlte. Der Eichenstuhl, auf dem er saß, war für ihn zu klein. Barlowe war so groß, daß ihm die meisten Möbel so erschienen, als wären sie für Zwerge gebaut worden. Er mochte tiefe, schwellende Polstersessel und alt modische Armsessel mit Ohrenbacken, aber nur, wenn die Ohrenbacken weit genug auseinanderstanden, daß seine breiten Schultern dazwischenpaßten. Er mo chte breite Betten und alte freistehende Badewannen, die so groß waren, daß sie ihn nicht nötigten, mit angezogenen Beinen in ihnen zu sitzen, als wäre er ein Baby, das im Becken gebadet wird. Seine Wohnung in Santa Ana war seiner Körpergröße entsprechend möbliert, aber wenn er nicht zu Hause war, fühlte er sich gewöhnlich in der einen oder anderen Hinsicht unbehaglich.
    Aber während Mutter Grace nun tiefer in ihre Trance sank, wartete Barlowe begierig auf die Botschaft, die sie aus der Geisterwelt bringen würde, und mit der Zeit merkte er gar nicht mehr, daß er wie auf einem Kinderstuhl saß.
    Er verehrte Mutter Grace. Sie hatte ihm von der Ankunft des Zwielichts erzählt, und er hatte jedes Wort geglaubt. Zwielicht. Ja, das machte Sinn. Die Welt war schon lange für das Zwielicht überfällig. Indem sie ihn davor warnte, daß es herannahte, indem sie seine Hilfe suchte, um die Menschheit darauf vorzubereiten, hatte Mutter Grace ihm Gelegenheit gegeben, Sühne zu tun, ehe es zu spät war. Sie hatte ihn gerettet, mit Leib und Seele.
    Bis er ihr begegnet war, hatte er den größten Teil seiner neunundzwanzig Jahre einzig und allein damit verbracht, sich selbst zu zerstören. Er war ein Trunkenbold gewesen, einer, der sich in Bars prügelte, ein Rauschgiftsüchtiger, ein Notzüchtiger, ja sogar ein Mörder. Er war in der Wahl seiner Bettpartnerinnen nicht wählerisch gewesen, hatte we nigstens jede Woche eine andere Frau im Bett gehabt, meistens Junkies oder Prostituierte oder beides. Er hatte sich sieben- oder achtmal eine Gonorrhoe zugezogen und zweimal die Syphilis, und es war eigentlich ein Wunder, daß er die beiden Krankheiten nicht öfter gehabt hatte.
    Hier und da, wenn auch selten, war er nüchtern genug gewesen, um klar denken zu können und seine Art zu leben widerwärtig, ja sogar beängstigend zu finden. Aber dann rechtfertigte er sein Verhalten immer wieder, indem er sich einredete, daß sein asoziales, gewalttätiges Verhalten nur die natürliche Reaktion auf die gedankenlose, manchmal sogar absichtliche Grausamkeit war, die die meisten Leute ihm gegenüber an den Tag legten.
    Für die Welt war er eine Mißgeburt, ein schwerfälliger Riese mit dem Gesicht eines Neandertalers, das selbst einem Grislybären angst machen konnte. Kleine Kinder fürchteten sich gewöhnlich vor ihm. Leute aller Altersstufen starrten ihn an, manche unverhohlen, manche verstohlen. Einige lachten ihn sogar aus, wenn sie glaubten, er würde nicht hinsehen, und machten sich hinter seinem Rücken über ihn lustig. Gewöhnlich tat er so, als würde er es nicht merken, wenn er nicht gerade in der Stimmung war, jemandem den Arm zu brechen oder in den Hintern zu treten. Aber er spürte es immer, und es tat weh. Teenager waren am schlimmsten, besonders bestimmte Mädchen, die ihn ganz offen auslachten und dabei kicherten; hier und da, wenn sie genügend weit von ihm entfernt waren, forderten sie ihn sogar heraus. Er war immer ein Außenseiter gewesen, von allen verschmäht und alleine.
    Viele Jahre lang hatte er sein gewalttätiges, selbstzerstöre risches Leben vor sich selbst leicht rechtfertigen können. Bitterkeit, Haß und Wut waren ihm ein wesentlicher Panzer gegen die Grausamkeit der Gesellschaft erschienen. Die Welt bestand darauf, ihn zum Außenseiter zu machen, bestand darauf, in ihm entweder einen über zwei Meter gro ßen Tölpel mit einem Affengesicht oder ein bedrohliches Monstrum zu sehen. Nun, ein Tölpel war er nicht, aber es machte ihm nichts aus, das Monstrum für sie zu spielen; es störte ihn überhaupt nicht, ihnen zu zeigen, wie bösartig und erschreckend monströs er sein konnte, wenn er das wirklich wollte. Sie hatten ihn zu dem gemacht, was er war. Er war für seine Verbrechen nicht verantwortlich. Er war schlecht, weil sie ihn schlecht gemacht hatten. Das hatte er sich die meiste Zeit seines Lebens eingeredet.
    Bis er Mutter Grace Spivey begegnet war.
    Sie zeigte ihm, was für eine armselige, von Selbstmitleid geplagte Kreatur er war. Sie ließ ihn erkennen, wie

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