Todesdämmerung
Junge sei böse, sagt, er müsse sterben, treibt sich mitten in der Nacht ums Haus herum, bringt unseren Hund um... Nun, sie scheint mir so schonungslos, so unvermeid bar.«
»Das ist sie nicht«, sagte Charlie.
»Nun, jetzt, wo Sie einiges über Evelyn, meine Mutter, wissen, glauben Sie immer noch, daß sie auch beteiligt sein könnte?«
»Eigentlich nicht. Aber es ist immer noch möglich, daß die alte Frau Ihre Mutter über Sie reden hörte oder über Joey und sich deshalb an Sie herangemacht hat.«
»Ich denke, es war einfach ein Zufall. Wir waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Wenn wir gestern nicht in dem Shoppingcenter gewesen wären, wenn es irgendeine andere Frau mit ihrem kleinen Jungen gewesen wäre, hätte sich die alte Hexe statt dessen auf die fixiert.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht«, sagte er.
Er erhob sich von seinem Schreibtisch.
»Aber machen Sie sich über diese verrückte Person keine Sorgen«, sagte er. »Wir werden sie finden.«
Er ging ans Fenster.
»Wir werden dafür sorgen, daß diese Belästigung aufhört«, sagte er. »Sie werden sehen.«
Er blickte hinaus, über die Dattelpalme hinweg. Der weiße Lieferwagen parkte immer noch auf der anderen Straßenseite. Der dunkelgekleidete Mann lehnte immer noch am vorderen Kotflügel, aber er hatte jetzt aufgehört zu essen, er wartete einfach, die Arme über der Brust verschränkt, den linken Fuß vor dem rechten, und beobachtete den Gebäudeeingang.
»Kommen Sie mal her«, sagte Charlie.
Christine kam ans Fenster.
»Könnte das der Lieferwagen sein, der gestern neben Ih rem Wagen parkte?«
»Mhm. So einer war es.«
»Aber könnte das derselbe sein?«
»Sie meinen, man ist mir heute morgen gefolgt?«
»Hätten Sie das denn bemerkt?«
Sie runzelte die Stirn. »Ich war in einem solchen Zustand ... zu nervös, so aufgeregt... Es wäre mir wahrscheinlich nicht aufgefallen, daß jemand hinter mir herfuhr, nicht, wenn man es einigermaßen geschickt angestellt hat.«
»Dann könnte es derselbe Lieferwagen sein.«
»Oder nur ein Zufall.«
»Ich glaube nicht an Zufälle.«
»Aber wenn es derselbe Lieferwagen ist, wenn man mich verfolgt hat — wer ist dann der Mann, der am Wagen lehnt?«
Sie waren zu weit von dem Fremden entfernt, um sein Gesicht sehen zu können. Aus dieser Distanz konnte man nur sehr wenig feststellen. Er hätte alt oder jung oder in mittleren Jahren sein können.
»Vielleicht ist er der Mann der alten Frau. Oder ihr Sohn.«
»Aber wenn er mich verfolgt, müßte er ebenso verrückt sein wie sie.«
»Vielleicht.«
»Aber die ganze Familie kann doch nicht verrückt sein.«
»Dagegen gibt es kein Gesetz«, sagte Charlie.
Er ging an seinen Schreibtisch und führte ein Hausgespräch mit Henry Rankin, einem seiner besten Leute. Er beschrieb Rankin den Lieferwagen auf der anderen Straßenseite. »Ich möchte, daß Sie hinübergehen und sich die Zulas sungsnummer merken und sich den Typen dort drüben ansehen, um ihn später wiederzuerkennen. Sehen Sie sich alles genau an, ohne dabei auffällig zu wirken. Benutzen Sie den Hintereingang und gehen sie um den Block herum, damit er nicht merkt, wo Sie herkommen.«
»Kein Problem«, sagte Rankin.
»Sobald Sie die Nummer haben, rufen Sie die Zulassungsstelle an und stellen fest, auf wen das Fahrzeug zugelassen ist.«
»Ja, Sir.«
»Und dann berichten Sie mir.«
»Ich gehe jetzt gleich los.«
Charlie legte auf und ging wieder ans Fenster.
»Hoffen wir, daß es nur ein Zufall ist«, sagte Christine.
»Im Gegenteil: Hoffen wir, daß es derselbe Lieferwagen ist. Einen besseren Hinweis könnten wir gar nicht haben.«
»Aber wenn es derselbe Lieferwagen ist, und wenn dieser Mann dazugehört...«
»Der gehört schon dazu.«
»Dann gibt es nicht nur diese alte Frau, die Joey bedrohte. Dann sind es zwei.«
»Oder mehr.«
»Was?«
»Es könnte doch noch ein oder zwei geben, von denen wir nichts wissen.«
Ein Vogel flog am Fenster vorbei.
Die Palmwedel bewegten sich in der für die Jahreszeit zu warmen Brise.
Die Sonne versilberte die Fenster der an der Straße parkenden Fahrzeuge.
Am Lieferwagen wartete der Fremde.
Christine sagte: »Was, zum Teufel, hat das alles zu bedeuten?«
10
In dem fensterlosen Keller hielten elf Kerzen die hartnäckigen Schatten in Schach.
Das einzige Geräusch, das zu hören war, war Mutter Grace Spiveys immer schwerer gehender Atem, während sie tiefer in die Trance sank. Die elf Jünger gaben keinen Laut von sich.
Auch Kyle
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