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Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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armselig dünn seine Rechtfertigung für sein sündiges Verhalten war. Sie lehrte ihn, daß ein Ausgestoßener aus seinem Zustand Kraft, Mut, ja sogar Stolz gewinnen konnte. Sie half ihm, den Satan in sich zu sehen, und half ihm dabei, den Teufel zu verjagen.
    Sie half ihm zu begreifen, daß seine große Stärke und sein einmaliges Talent zur Zerstörung nur dazu eingesetzt werden durften, den Feinden Gottes Angst und Schrecken ein zujagen und sie zu bestrafen.
    Wie Kyle Barlowe jetzt vor Mutter Grace saß und miterlebte, wie sie in Trance versank, betrachtete er sie mit unverhohlener Verehrung. Er sah nicht, daß ihre ungepflegte graue Mähne zottig und ein wenig fettig war; für ihn war ihr glänzendes Haar in dem flackernden goldenen Licht wie ein heiliger Nimbus, der ihr Gesicht einrahmte, ein Heiligenschein. Er sah nicht, daß ihre Kleider zerdrückt waren; er bemerkte die Fusseln und Schuppen und Essensflecken nicht, die darauf waren. Er sah nur das, was er sehen wollte. Und er wollte die Rettung sehen.
    Sie stöhnte. Ihre Lider flatterten, aber sie schlug die Augen nicht auf.
    Während sie immer noch auf dem Boden saßen und ihre Kerzen hielten, kam unter den elf Jüngern des inneren Rates eine gewisse Spannung auf, aber keiner von ihnen sagte etwas oder gab sonst einen Laut von sich, der den Zauber hätte brechen können.
    »O Gott«, sagte Mutter Grace, als hätte sie gerade etwas Schreckliches oder vielleicht sogar Beängstigendes gesehen. »O Gott o Gott o Gott!«
    Sie zuckte zusammen. Sie schauderte. Sie leckte sich nervös die Lippen.
    Schweiß brach ihr auf der Stirn aus.
    Ihr Atem ging jetzt schwerer als vorher. Sie stöhnte mit offenem Mund, als wäre sie am Ertrinken. Dann holte sie mit einem kalten, zischenden Geräusch Luft.
    Barlowe wartete geduldig.
    Mutter Grace hob die Hände, griff ins Leere. Ihre Ringe schimmerten im Kerzenlicht. Dann fielen ihr die Hände wieder auf den Schoß zurück, flatterten kurz wie sterbende Vö gel und blieben dann ruhig liegen.
    Am Ende sprach sie mit schwacher, abgespannter, zittriger Stimme, die kaum als die ihre zu erkennen war. »Töte ihn.«
    »Wen?« fragte Barlowe.
    »Den Jungen.«
    Die elf Jünger regten sich, sahen einander bedeutsam an, und die Bewegung ihrer Kerzen ließ die Schatten wie belebte Wesen durch den Raum tanzen.
    »Du meinst Joey Scavello?« fragte Barlowe.
    »Ja. Töte ihn«, sagte Mutter Grace wie aus weiter Ferne. »Jetzt.«
    Aus Gründen, die weder Barlowe noch Mutter Grace kannte, war er der einzige Mensch, der mit ihr kommunizieren konnte, wenn sie sich in Trance befand. Wenn andere zu ihr sprachen, hörte sie sie nicht. Sie war der einzige Kontakt, den sie mit der Geisterwelt hatten, die einzige, die all die Botschaften von der anderen Seite vermittelte, aber es war Barlowe, der mit seinen vorsichtigen und geduldigen Fragen sicherstellte, daß diese Botschaften immer klar und detailliert waren. Diese Funktion war es — mehr als alles andere —, die ihn überzeugte, daß er einer von Gottes Auserwählten war, so wie Mutter Grace das sagte.
    »Töte ihn, töte ihn«, sagte sie in einem eigenartig starren Singsang.
    »Und du bist sicher, daß der Junge der Richtige ist?« fragte Barlowe.
    »Ja.«
    »Es gibt keinen Zweifel?«
    »Keinen.«
    »Wie kann er getötet werden?«
    Das Gesicht von Mutter Grace wirkte jetzt schlaff. In ihrer sonst faltenlosen Haut waren Linien erschienen. Ihr blasses Fleisch hing wie zerknülltes, lebloses Tuch an ihr herunter.
    »Wie können wir ihn vernichten?« erkundigte Barlowe sich erneut.
    Der Mund hing ihr herunter, der Atem rasselte in ihrer Kehle. Speichel glitzerte in ihren Mundwinkeln, quoll heraus und rann ihr langsam über das Kinn.
    »Mutter Grace?« drängte Barlowe.
    Ihre Stimme klang noch schwächer als vorher. »Töte ihn... auf irgendeine Weise, die du auswählst.«
    »Mit einer Pistole, einem Messer? Feuer?«
    »Jede Waffe... wird Erfolg haben... aber nur... wenn du bald handelst.«
    »Wie bald?«
    »Die Zeit wird knapp. Tag für Tag... wird er... mächtiger. .. weniger verletzbar.«
    »Wenn wir ihn töten, gibt es da ein bestimmtes Ritual, das wir befolgen müssen?« fragte Barlowe.
    »Nur daß... wenn er tot ist... sein Herz...«
    »Was ist mit seinem Herz?«
    »Es muß... herausgeschnitten werden«, sagte sie, und ih re Stimme wurde jetzt kräftiger, schärfer.
    »Und dann?«
    »Es wird schwarz sein.«
    »Sein Herz wird schwarz sein?«
    »Eine Kohle. Und verfault. Und ihr werdet

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