Todesdämmerung
Afrika?«
»Er ist tot.«
»Oh, das tut mir leid.«
»Es ist keine frische Wunde«, beruhigte sie ihn. »Tony ist vor elf Jahren, als ich noch auf die Oberschule ging, von Terroristen getötet worden; es waren afrikanische Revolutionäre. Eine Zeitlang war Mutter untröstlich, aber mit der Zeit schlug diese Trauer in krankhaften Zorn um. Sie war tatsächlich böse auf Tony, daß er sich hatte umbringen lassen — so als wäre er weggegangen, wie vor ihm mein Vater. Sie vermittelte mir das Gefühl, daß ich jetzt das ausgleichen mußte, worin Daddy und Tony sie enttäuscht hatten. In meinem eigenen Leid und meiner Verwirrung, wohl auch meinen Schuldgefühlen sagte ich, ich wolle Nonne werden, und Evelyn... Mutter sprang förmlich auf die Idee. So trat ich auf ihr Drängen nach der Oberschule auf zwei Jahre in einen Konvent ein... und es war eine Katastrophe.«
So viel Zeit war verstrichen, und doch konnte sie sich noch ganz deutlich daran erinnern, wie sich das Novizin nengewand angefühlt hatte, als sie es zum erstenmal getra gen hatte: sein unerwartetes Gewicht, das überraschend grobe Gewebe; und auch daran erinnerte sie sich, wie sie ständig mit den langen Röcken an Türknöpfen, Möbeln und allen möglichen anderen Dingen hängengeblieben war. Das Gefühl, in diese Uniform eingeschlossen zu sein, in einer engen, von steinernen Mauern umgebenen Zelle auf einer einfachen Pritsche zu schlafen, Tag für Tag in den finsteren und asketisch möblierten Mauern des Konvents zu verbrin gen - das alles haftete an ihr fest, trotz aller Mühe, die sie sich gab, es zu vergessen. Jene verlorenen Jahre waren dem erstickenden Leben in dem viktorianischen Haus in Pomona so ähnlich gewesen, daß, ähnlich wie bei dem Gedanken an ihre Kindheit, jede Erinnerung an die Tage im Konvent einen Druck auf ihre Brust ausübte und sie beim Atmen behinderte.
»Eine Nonne?« sagte Charlie Harrison, der außerstande war, sein Staunen zu verbergen.
»Eine Nonne«, sagte sie.
Charlie versuchte sich diese lebenssprühende, sinnliche Frau in Nonnentracht vorzustellen. Aber er schaffte es ein fach nicht. Sein Vorstellungsvermögen lehnte sich dagegen auf.
Zumindest begriff er nun, weshalb sie eine so ungewöhnliche innere Ruhe ausstrahlte. Zwei Jahre in einem Nonnenkloster, zwei Jahre langer, täglicher Meditations- und Gebetssitzungen, zwei Jahre Isoliertheit von den turbulenten Strömungen des Alltagslebens mußten eine dauerhafte Wirkung haben.
Aber nichts davon erklärte, weshalb sie eine so ungeheure plötzliche Anziehungskraft auf ihn ausübte und weshalb er sich in ihrer Gesellschaft wie ein geiler Teenager vorkam. Das war ihm immer noch ein Rätsel, ein angenehmes Rätsel, aber dennoch unerklärlich.
Sie fuhr fort: »Ich hielt zwei Jahre lang durch und versuchte mich selbst zu überzeugen, daß ich für dieses Leben berufen war. Aber es hatte keinen Sinn. Als ich den Konvent verließ, war Evelyn erschüttert. Ihre ganze Familie hatte sie enttäuscht. Und als ich dann ein paar Jahre später mit Joey schwanger wurde, war Evelyn entsetzt. Ihre einzige Tochter, die eine Nonne hätte werden können, erwies sich statt dessen als eine Frau mit lockerem Lebenswandel, als unverheiratete Mutter. Sie häufte Schuld auf mich, erstickte mich damit.«
Sie blickte zu Boden, hielt einen Augenblick inne, um sich zu fassen.
Charlie wartete. Er verstand sich ebensogut auf das Warten wie auf das Zuhören.
Schließlich sagte sie: »Um diese Zeit hatte ich meine Religion so gut wie verloren... oder war von ihr weggetrieben worden. Ich ging nicht mehr zur Messe. Aber ich war immer noch genügend Katholikin, um vor dem Gedanken einer Abtreibung zurückzuschrecken. Ich behielt Joey und habe es nie bedauert.«
»Und Ihre Mutter hat ihre Einstellung nie geändert?«
»Nein. Wir reden miteinander, aber zwischen uns gibt es einen tiefen Abgrund. Und sie will mit Joey nicht viel zu tun haben.«
»Das ist schlimm.«
»Eigenartigerweise — und das ist beinahe eine Ironie des Schicksals — wandelte sich mein Leben von dem Tage an, an dem ich schwanger wurde. Alles wurde seit damals bes ser und besser. Ich war noch schwanger, als ich mit Val Gardner eine Partnerschaft einging und anfing, richtiges Geld zu verdienen.« Sie erzählte ihm von Wine & Dine. »Als Joey ein Jahr alt war, konnte ich meine Mutter unterstützen. Ich habe viel Erfolg gehabt, aber das ist für sie ohne Bedeutung; es ist nicht gut genug für sie, nicht, wo ich doch eine Nonne hätte
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