Todesdämmerung
Ausdruck verloren hatte. Sie ließ die Hände sinken. »Ich bin hierhergekommen, um mit Ihnen vernünftig zu reden«, sagte Charlie. »Ich sehe, daß das nicht möglich ist.
Lassen Sie sich also von mir warnen...«
»Ihr gehört jetzt dem Satan. Ihr habt eure Chance gehabt.«
»Wenn Sie nicht aufhören...«
»Und ihr habt eure Chance verspielt.«
»Wenn Sie die Scavellos nicht in Frieden lassen...«
»Jetzt werdet ihr einen schrecklichen Preis bezahlen!«
»Ich werde mich in diese Geschichte hineinbohren und nicht lockerlassen. Ich werde dafür sorgen, daß man Sie vor Gericht stellt, daß Ihre Kirche ihre Steuerfreiheit verliert, daß jeder weiß, was Sie wirklich sind, werde nicht ruhen, bis Ihre Anhänger ihren Glauben an Sie verlieren und Ihr verrückter kleiner Kult vernichtet wird. Das ist mein Ernst.
Ich kann genauso unerbittlich sein wie Sie, genauso entschlossen. Ich kann Sie fertigmachen. Also hören Sie auf, solange Sie noch eine Chance haben.«
Sie funkelte ihn an.
Henry sagte: »Mrs. Spivey, wollen Sie mit diesem Wahnsinn aufhören?«
Sie sagte nichts. Sie senkte die Augen.
»Mrs. Spivey?«
Keine Antwort.
Charlie sagte: »Komm, Henry, verschwinden wir hier.« Als sie sich der Tür näherten, öffnete sie sich, und ein rie senhafter Mann trat ins Zimmer, zog den Kopf ein, um ihn sich nicht am Türstock anzuschlagen. Er mußte an die zwei Meter zehn groß sein. Er hatte ein Gesicht aus einem Alp traum, wirkte unwirklich. Nur Bilder aus Filmen konnten ihn beschreiben, dachte Charlie. Er war wie ein Frankenstein -Monster mit dem muskelbepackten Körper Conans des Barbaren. Er sah Grace Spivey weinen, und sein Gesicht verzerrte sich in einer Maske der Wut und der Verzweiflung, die Charlies Blut zu Eis erstarren ließ. Der Gigant streckte die Hand aus, packte Charlie am Jackett und hätte ihn fast in die Höhe gehoben.
Henry zog den Revolver, und Charlie sagte: »Halt! Halt!«,
weil die Lage zwar unangenehm, aber noch nicht wirklich gefährlich war.
»Was haben Sie ihr getan?« fragte der Hüne. »Was haben Sie getan?«
»Nichts«, sagte Charlie. »Wir wollten...«
»Laß sie gehen«, sagte Grace Spivey. »Laß sie passieren, Kyle.«
Der Gigant zögerte. Seine Augen, die wie harte, helleuchtende Seegeschöpfe aussahen, die sich irgendwo in den Tie fen des Ozeans verbargen, musterten Charlie voll bösartiger Wut, die dem Teufel selbst Alpträume verschafft hätte.
Schließlich ließ er Charlie los und walzte mit schweren Schritten auf den Tisch zu, an dem die Frau saß. Er entdeckte das Blut an ihren Händen und wirbelte zu Charlie herum. »Das hat sie selbst gemacht«, sagte Charlie und schob sich zur Tür. Der bittende Tonfall seiner Stimme gefiel ihm nicht.
Aber im Augenblick schien kein Platz für Stolz zu sein, und jetzt den Macho zu spielen, wäre schwachsinnig gewesen.
»Wir haben sie nicht angerührt.«
»Laß sie gehen«, wiederholte Grace Spivey.
Und der Hüne sagte mit leiser, drohender Stimme: »Hinaus! Schnell!«
Charlie und Henry gehorchten.
Die rotgesichtige Frau mit den hervortretenden grünen Augen erwartete sie in der Halle. Als sie durch den Korridor eilten, öffnete sie die Tür. Kaum waren sie ins Freie getreten, knallte sie die Tür hinter ihnen zu und sperrte ab. Charlie ging in den Regen hinaus, ohne seinen Schirm aufzuspannen. Er wandte sein Gesicht dem Himmel zu. Der Regen fühlte sich frisch und sauber an, und er ließ ihn auf sich herunterprasseln, weil er das Gefühl hatte, der Wahnsinn im Haus hätte ihn besudelt.
»Gott helfe uns«, sagte Henry mit zitternder Stimme. Sie gingen zur Straße.
Schmutziges Wasser gurgelte im Rinnstein. Es bildete einen braunen See, der bis in die Mitte der Kreuzung reichte, und aller möglicher Unrat segelte wie eine Flotte winziger Boote auf der windgepeitschten Wasserfläche.
Charlie drehte sich um und sah auf die Pfarrei. Jetzt wirkte all der Schmutz nicht mehr nur wie gewöhnlicher städtischer Verfall: Er war ein Abbild der Menschen, die dieses Haus bewohnten, und ihres Geisteszustandes. In den staubbedeckten Fenstern, der abblätternden Farbe und dem abgesprungenen Verputz sah er nicht nur die Zerstörung, sondern auch das Abbild menschlichen Wahnsinns in der körperlichen Welt. Er hatte als Kind viel Science Fiction gelesen und tat es heute noch, und vielleicht war dies der Grund, weshalb er jetzt an das Entropie-Gesetz dachte, das besagte, daß das Universum und alles, was sich in ihm befand, sich nur in
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