Todesdämmerung
Carter Rilbeck, wartete am Steuer. Carter würde auf sie warten und Hilfe kommen lassen, wenn sie nicht binnen einer halben Stunde wieder herauskamen. Außerdem trugen Charlie und Henry Revolver in Schulterhalftern.
Die Pfarrei war links von der Kirche, sie lag etwas von der Straße zurück hinter einem ungepflegten Rasen zwischen zwei Korallenbäumen, die dringend der Pflege bedurften und von Büschen umgeben waren, die seit Monaten nicht mehr gestutzt worden waren. Die Pfarrei war ebenso wie die Kirche in keinem besonders guten Zustand. Charlie vermutete, daß man, wenn man wirklich daran glaubte, daß das Ende der Welt unmittelbar bevorstand — und das behaupteten diese Zwielichter ja -, keine Zeit auf Äußerlichkeiten wie Gärtnerarbeit oder Hauspflege vergeudete. Der Fußboden der Veranda ächzte, und die Türglocke gab ein dünnes, schrilles, unregelmäßiges Geräusch von sich, eher animalisch als mechanisch.
Der Vorhang, der das kleine Fenster in der Mitte der Tür abdeckte, wurde hastig beiseite gezogen. Eine rotgesichtige, übergewichtige Frau mit hervortretenden grünen Augen starrte sie eine lange Weile an, ließ dann den Vorhang wie der zufallen, sperrte die Tür auf und ließ sie in die düstere Vorhalle eintreten.
Als die Tür geschlossen war und das Sausen des Sturmes etwas gedämpfter klang, sagte Charlie: »Mein Name ist...«
»Ich weiß, wer Sie sind«, schnitt ihm die Frau das Wort ab. Sie führte sie über den Flur zu einem Raum auf der rechten Seite, dessen Tür offenstand. Sie öffnete die Tür ganz und bedeutete ihnen einzutreten. Sie trat nicht mit ihnen ein, meldete sie auch nicht, sondern schloß einfach die Tür hinter ihnen und ließ sie stehen. Offenbar war in dem bizarren Gebräu aus Christentum und Untergangsprophezeiung, das sie für sich zusammengekocht hatten, kein Platz für allgemeine Höflichkeitsformen.
Charlie und Henry befanden sich in einem sechs Meter langen und fünf Meter breiten Raum, der spärlich und billig möbliert war. Eine Wand war von Aktenschränken gesäumt. In der Mitte stand ein einfacher Stahltisch, auf dem sich eine Damenhandtasche und ein Aschenbecher befanden, hinter dem Tisch ein Klappstuhl aus Metall und zwei davor. Sonst nichts. Keine Vorhänge an den Fenstern. Keine Tische oder Schränkchen oder Schmuckgegenstände. Es gab auch keine Lampen, nur den Beleuchtungskörper an der Decke, von dem ein gelblicher Schein ausging, der sich mit dem grauen Sturmlicht vermischte, das durch die hohen Fenster hereindrang und den Raum in ein schlammiges Licht tauchte.
Das Eigenartigste überhaupt war vielleicht, daß keinerlei religiöse Gegenstände zu sehen waren: keine Christusgemälde, keine Statuen biblischer Gestalten, keine gestickten Bibelsprüche, nichts von all den heiligen Objekten — oder dem Kitsch, je nachdem, wie man es betrachtete — die man in einem solchen Raum erwartet hätte. Auch im Korridor oder in den Räumen, an denen sie vorbeigekommen waren, war davon nichts zu sehen gewesen.
Grace Spivey stand am anderen Ende des Raumes an einem Fenster, wandte ihnen den Rücken zu und starrte in den Regen hinaus.
Henry räusperte sich.
Sie blieb reglos stehen.
Charlie sagte: »Mrs. Spivey?«
Schließlich wandte sie sich vom Fenster ab und sah sie an.
Sie war ganz in Gelb gekleidet: eine blaßgelbe Bluse mit einem gelbgepunkteten Tuch um den Hals, ein leuchtendgelber Rock, gelbe Schuhe. Sie trug gelbe Armbänder an beiden Handgelenken und ein halbes Dutzend Ringe mit gelben Steinen. Die Wirkung, die von der ganzen Aufmachung ausging, war lächerlich. Die leuchtendgelbe Kleidung betonte nur noch, wie blaß ihr aufgedunsenes Gesicht war, hob das fahle Weiß ihrer von Altersflecken übersäten Haut hervor. Sie sah aus wie eine senile schrullige Alte, die sich für ein zwölfjähriges Mädchen hielt, das sich für den Ge burtstag einer Freundin herausgeputzt hatte.
Ihr graues Haar war wild, aber ihre Augen waren noch wilder. Selbst aus der Entfernung, die zwischen ihnen lag, waren diese Augen fremdartig und beängstigend.
Sie hielt sich eigenartig starr, die Schultern nach hinten gedrückt, die Arme gerade an ihren Seiten herunterhängend, die Hände zu Fäusten geballt.
»Ich bin Charles Harrison«, sagte Charlie, weil er der Frau bisher noch nie begegnet war, »und dies ist mein Kollege, Mr. Rankin.«
Unsicher, fast wie eine Betrunkene, machte sie zwei Schritte auf sie zu. Ihr Gesicht verzog sich, und ihre weiße Haut wurde noch
Weitere Kostenlose Bücher