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Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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höchst komplizierte Angelegenheit etwa von der Größe eines Zigarrenhumidors; auf dem Deckel standen handbemalte Figuren von zwei bärtigen Goldprospektoren und einem höchst komisch dargestellten Esel. Boo gab einem der Prospektoren einen Quarter in die Hand und drückte einen Knopf an der Seite des Apparates. Die Hand des Prospektors hob sich, hielt dem zweiten Prospektor die Münze hin, aber der Esel senkte den Kopf und schnappte nach dem Quarter, den der Pro spektor daraufhin losließ. Dann hob der Esel den Kopf wie der, worauf der Quarter durch seinen Hals in die Sparbüchse darunter wanderte, während beide Prospektoren verstimmt den Kopf schüttelten. Auf den Satteltaschen des Esels stand >Onkel Sam< geschrieben.
    »Die ist 1903 gebaut. Soweit bekannt ist, gibt es davon auf der ganzen Welt nur acht funktionierende Exemplare«, sagte Boo stolz. »Sie heißt >Der Steuereinnehmer< aber ich nenne sie: >In einer Welt der Esel gibt es keine Gerechtigkeit. <«
    Charlie lachte, aber Henry blickte verdutzt.
    Sie zogen sich in eine Ecke des Raumes zurück, in der vier schwere behagliche Sessel um einen Glastisch angeordnet waren. Boothes Sessel ächzte leise, als er sich setzte.
    Da es sich bei dem Raum um ein Eckbüro handelte, besaß es zwei fast ausschließlich aus Glas bestehende Außenwände. Und weil dieses Gebäude von den anderen Hochhäusern in Costa Mesa abgewandt war und auf eines der wenigen Stücke Ackerland in diesem Teil des Landes blickte, schien es draußen nur eine graue Leere aus wogenden Wolken, Nebelschwaden und Regen zu geben, der in einem senkrechten Strom an den Glaswänden hinunterschoß. Der Effekt, der dadurch entstand, war verblüffend — so als existierte das Büro nicht in dieser Welt, sondern in einer anderen Realität, in einer anderen Dimension.
    »Du sagst, es geht um Grace Spivey?« wollte Boothe wissen.
    Er interessierte sich besonders für religiöse Psychosen und hatte ein Buch über die Psychologie von Sektenführern geschrieben. Er war von Grace Spivey fasziniert und hatte die Absicht, ihr in seinem nächsten Buch ein Kapitel zu widmen.
    Charlie erzählte Boo von Christine und Joey, von ihrem Zusammenstoß mit Grace an der South Coast Plaza und den Anschlägen, die man auf sie verübt hatte.
    Der Psychologe, der sonst nichts davon hielt, sich seinem Patienten gegenüber würdevoll zu geben, und der den Hu mor sogar als Teil seiner Therapie einsetzte, ein Mann, des sen Gesicht nur selten finster blickte, runzelte jetzt die Stirn. Er sagte: »Das ist schlimm. Sehr schlimm. Ich wußte immer, daß Grace eine echte Gläubige ist, nicht nur ein Scharlatan, der finanziellen Nutzen aus dem Glauben anderer zieht. Sie war immer überzeugt, daß das Ende der Welt bevorsteht. Aber daß sie so tief in ihre psychotischen Fantasien versunken ist, hätte ich nie gedacht.« Er seufzte und blickte in die Szenerie aus Sturm und Wolken hinaus. »Sie redet die ganze Zeit von ihren >Visionen<, setzt sie dazu ein, ihre Anhänger aufzupeitschen. Ich hatte immer gedacht, daß sie diese Visionen in Wirklichkeit gar nicht hat, daß sie nur vorgibt, sie zu haben, weil sie weiß, daß so etwas ein gutes Instrument ist, um Menschen zu bekehren und Anhänger an sich zu ketten. Indem sie diese Visionen benutzt, kann sie Gott ihren Leuten auftragen lassen, die Dinge zu tun, die sie will, Dinge, die sie vielleicht nicht akzeptieren würden, wenn sie nicht glaubten, die Befehle kämen direkt vom Himmel.«
    »Wenn sie wirklich gläubig ist«, sagte Henry, »wie könnte sie dann eine solche Lüge vor sich selbst rechtfertigen?«
    »Oh, ganz leicht, ganz leicht«, sagte der Psychologe und wandte den Blick von dem regenverhangenen Februarmorgen draußen. »Sie würde es rechtfertigen, indem sie sagte, sie gäbe ja nur Dinge an ihre Anhänger weiter, die Gott ihnen ohnehin gesagt hätte, wenn Er ihr wirklich in Visionen erschienen wäre. Die zweite Möglichkeit, und die ist beunruhigender, ist, daß sie tatsächlich Gott sieht und hört.«
    »Sie meinen doch nicht, daß sie Ihn wirklich sieht«, sagte Henry überrascht.
    »Nein, nein«, wehrte Boo mit einer heftigen Handbewegung ab. Er war Agnostiker und liebäugelte mit dem Atheis mus. Manchmal sagte er zu Charlie, daß Gott in Anbetracht des jämmerlichen Zustandes der Welt irgendwo in Albanien, Tahiti, Cleveland oder einem anderen fernen Winkel des Universums, wo keine Nachrichten zu ihm durchkamen, Urlaub machen mußte. Er sagte: »Ich meine, daß sie Gott sieht

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