Todesdrang: Thriller (German Edition)
nötig sein, ihr das zu sagen«, meinte Dirk. »Sie wird es riechen.«
»Wohl kaum«, sagte Niklas und griff erneut in seine Tasche. Dieses Mal zog er einen gläsernen Flachmann hervor. »Den Schnaps wird sie riechen, aber den hat mir schließlich noch keiner verboten.« Sein Lachen klang wie eine ausgeprägte Bronchitis. »Ich hoffe, ich kann dich wenigstens hierzu überreden?«
»Ich höre mich nicht nein sagen.«
Niklas schraubte den Verschluss des Flachmanns ab, der gleichzeitig als Becher diente, und füllte ihn bis zum Rand. Dann reichte er ihn Dirk. Er selbst bevorzugte die Flasche. »Was wäre das Leben ohne ein paar Laster? Sie geben unserem Dasein die nötige Würze. Prost!«
Niklas nahm einen kräftigen Schluck, während Dirk den Becher in einem Zug leerte.
»Verdammt, ist der gut«, krächzte Niklas.
»Das kannst du laut sagen«, keuchte Dirk, der sich noch immer schüttelte, das Gesicht verzog und hustete.
»Den hab ich von einem alten kroatischen Freund. Der bringt das schwarzgebrannte Zeug literweise von zu Hause mit. Hilft gegen die Kälte.«
»Ich glaube, hierzulande betankt man damit Flugzeuge.« Dirk wischte sich die Tränen aus den Augen. »Du, sag mal, hat bei euch vorhin auch ein Obdachloser geklingelt?«
Niklas betrachtete ihn durch seine leicht geröteten Augen. »Machen diese Penner jetzt schon Hausbesuche? Nein, bei uns war keiner. Was wollte der Kerl?«
»Das Übliche«, sagte Dirk, »sich durchschnorren.«
»Du hast ihm doch hoffentlich nichts gegeben? Glaub mir, wenn die spitzkriegen, dass was zu holen ist, geht’s hier bald zu wie im Taubenschlag.«
Dirk schüttelte den Kopf. »Nein, ich hab ihn weggeschickt. Wollte dich nur vorwarnen, falls der Kerl auch bei euch auftaucht.«
»Das soll er sich mal trauen. Dieses faule Pack kriegt von mir höchstens eine Predigt über harte, ehrliche Arbeit zu hören.«
»Sind ja wahrscheinlich nicht alle so«, sagte Dirk nachdenklich. »Ich hab mal gelesen, dass es darunter sogar viele gebildete Leute gibt – ehemalige Lehrer und Ärzte, die mehr oder weniger unverschuldet in diese Lage gekommen sind.«
»Mumpitz«, sagte Niklas. »Niemand gerät unverschuldet in so eine Lage, das solltest du als Banker eigentlich wissen. Wenn du mich fragst, ist es einfach nur Charakterschwäche, sich nach einem Rückschlag derart hängen zu lassen und ausschließlich auf die Hilfe anderer zu vertrauen. Ich hab schließlich auch nicht den Kopf in den Sand gesteckt, als ich meinen Beruf nicht mehr ausüben konnte. Und trotz meiner kaputten Hüfte bin ich mir nicht zu schade dafür, Regale im Supermarkt aufzufüllen, um damit meine bescheidene Rente aufzustocken.« Er breitete die Arme zu einer ausladenden Geste aus. »Alles, was du hier siehst, mein Freund, habe ich mir hart erarbeiten müssen, und das ist auch gut so, denn nur so weiß ich es zu schätzen. Von nichts kommt nichts! Daher haben solche Typen in meinen Augen auch kein Recht darauf, vor meinem Haus herumzulungern. So einfach ist das.«
»Mag sein«, sagte Dirk. »Aber dieser Typ war irgendwie anders … ich weiß auch nicht. Irgendetwas stimmte nicht mit dem.«
»Mach dir keinen Kopf deswegen«, sagte Niklas. »Das war auch nur einer dieser Saufbrüder.« Er hielt Dirk die Flasche hin. »Willst du noch einen?«
Zwei Schnäpse später entschied Dirk, dass es an der Zeit war, diesen Besuch zu beenden, sofern er nicht auch zum Saufbruder werden wollte. »Ich muss los«, winkte er dankend ab, als Niklas ihm erneut die Flasche anbot. »Ich will Anke heute Abend zum Essen ausführen und muss noch einen Tisch reservieren.«
Niklas stieß einen leisen Pfiff zwischen den Zähnen aus. »Da will sich aber jemand ranschmeißen, was?« Er verstaute die Flasche in seiner Jackentasche und erhob sich. »Dann will ich dich mal nicht länger aufhalten.« Er reichte ihm die Hand. »Vielen Dank für deine Hilfe, mein Freund. Wie schon gesagt, du hast was gut bei mir.«
»Gern geschehen.« Dirk war erstaunt über den festen Händedruck seines Nachbarn. »Und mach langsam mit dem Zeug.«
»Keine Sorge, mich kriegt so schnell nichts klein.«
»Das glaub ich dir aufs Wort. Bis dann.«
»Grüß deine wunderschöne Frau von mir.«
»Mach ich.«
»Und zwar an Stellen, an die nur du rankommst«, sagte Niklas grinsend. »Ich wünsch euch beiden einen schönen Abend.«
Dirk drehte sich im Gehen noch einmal lachend zu ihm um. »Den werden wir haben. Ganz bestimmt.«
Das Essen beim Italiener war hervorragend.
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