Todeseis
verwirrenden Labyrinth der Gänge und Treppen auf die Suche nach ihrer Kabine.
Sie erreichte den Kabinengang auf dem C-Deck, wo sich ihre Unterkunft befand, und noch während sie die richtige Kabinennummer suchte, kam ein hilfsbereiter Steward auf sie zu, der sie zu ihrer Kabinentür begleitete.
»Mein Name ist Nevil Boyes, Mylady«, sagte der junge Mann, der ihr vorauseilte. »Ich bin für den Gang zuständig, an dem Ihre Kabine liegt. Nennen Sie mich einfach Nevil. Ihre Koffer wie auch die Koffer Ihres Gatten befinden sich bereits in Ihrem Appartement.«
Er war ein noch junger Mann, mit einem langen, schmalen Gesicht und einem forschenden Blick.
»Vielen Dank, Nevil. Aber ich werde die Reise ohne Mr. Ryland machen. Da ich noch nicht mit ihm verheiratet bin, bat ich den Zahlmeister, meinen Mädchennamen Appleton in der Passagierliste zu notieren. Nennen Sie mich bitte nicht Miss Appleton, sondern Mrs. Appleton.«
Der Steward lächelte. »Ich verstehe. Sie möchten nicht von den allein reisenden Herren belästigt werden. Wann immer Sie meiner bedürfen, Mylady, werde ich zu Ihrer Verfügung sein.« So wie er es sagte, klang es fast anzüglich, und Gladys musste unwillkürlich lächeln.
Nevil hielt ihr die Kabinentür auf und lächelte ihr auf eine fast verschwörerische Weise zu, dann ließ er sie allein. Sie schaute dem schlanken, gut aussehenden jungen Mann einen Moment nach, bevor sie über die Schwelle trat.
Entzückt blickte sie sich um. Obwohl die Kabine zu den preiswerteren Erste-Klasse-Etablissements gehörte, glich sie eher einer Wohnung in Mayfair als einer Schiffskabine. Die Doppelkabine war luftig, geräumig und hell. Das Bett war aus echtem Messing, es gab einen Marmorwaschtisch, ein grünes Netz, in das abends Wertgegenstände gelegt werden konnten, antike Möbel, ein Rosshaarsofa, einen Ventilator an der Decke, und überall waren Klingelknöpfe und elektrische Armaturen. Gladys seufzte, als sie den Koffer von Phil neben dem ihren vor einem der Schränke erblickte, doch dann nahm sie ihn und stellte ihn ungeöffnet in den Schrank, bevor sie den eigenen Koffer aufmachte. Sie packte alles aus, räumte ihre Kleidung in die Schränke und kehrte dann, ohne sich umzuziehen, an Deck zurück.
Die Passagiere waren gut gekleidet und zeigten sich von ihrer besten Seite, wie das wohl zu Beginn jeder Reise der Fall war. Die geröteten Gesichter spiegelten Aufregung und leichte Beklommenheit. Die Abfahrt des großen Schiffes stand unmittelbar bevor.
Mit ihrem Charme, dessen gezielter Einsatz ihr stets die Türen öffnete, verschaffte sich Gladys einen freien Platz an der Reling. Sie war gerade rechtzeitig gekommen, um zu sehen, wie die breite Gangway eingezogen wurde. Kurz darauf ertönte von unten machtvoll das Kommando: »Leinen los!«
Der ›blaue Peter‹ wurde gehisst, und ein ohrenbetäubender, mehrstimmiger Sirenenklang schallte über den Hafen von Southampton. Aus den beiden vorderen Schornsteinen entwich weißer Dampf. Der Sirenenton gab allen Musikkapellen auf dem Kai den Befehl, gleichzeitig mit dem Spielen zu beginnen. Ohrenbetäubender Lärm brandete auf. Die Leute begannen lauthals zu johlen, zu lachen und Abschiedsgrüße zu rufen. Kurz darauf ging ein Vibrieren durch das mächtige Schiff. Die kraftvollen Maschinen hatten zu arbeiten begonnen, und aus drei Schornsteinen stiegen gewaltige Rauchwolken auf. Das neue Wunder der Technik stellte seine Kraft und Bedeutung zur Schau, und Gladys überlief eine Gänsehaut.
Sie sah ein paar Männer, die laut rufend den Kai entlang auf die Gangway zugelaufen kamen, ihre Kleider und Habseligkeiten um die Schultern geschlungen in der Absicht, das Schiff noch zu erreichen. Als sie vor der Gangway standen, redeten sie wild gestikulierend auf einen Offiziellen ein, der dort Wache stand. Offenbar waren es Männer, die zur Mannschaft gehörten, wahrscheinlich Heizer. Ihre Versuche, die Verspätung zu entschuldigen, zeitigten keinen Erfolg. Der Offizier blieb unnachgiebig und wies die armen Kerle, die vermutlich dringend auf die Heuer angewiesen waren, zurück.
Die Titanic legte ab. Die Schleppschiffe zogen sie aus dem Dock, und der Abstand zwischen Dampfer und Ufer wurde größer. Alles geschah sehr langsam und würdevoll, wie es sich für das größte Schiff der Welt gehörte. Als die Schlepper die Fahrbahnrinne erreichten, zogen sie die Trossen straff, die Taue fielen ins Wasser und wurden von den Hafenarbeitern eingeholt.
Die Schiffsschrauben der Titanic
Weitere Kostenlose Bücher