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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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bessere Kreise eingeschlichen hatte! Wahrscheinlich steckte sogar Faussett selbst oder sein unsympathisches Medium hinter der Intrige. Es war wohl ihre Art, sich dafür an ihr zu rächen, dass sie die Séance nicht ernst genommen hatte. Ja, so waren diese Reichen! Wer die Rolle nicht übernahm, die sie einem bei ihren Spielen zumuteten, den ließen sie kalt lächelnd fallen, oder über den fielen sie her, indem sie ihn mit all dem aufgesetzten Hohn, zu dem sie fähig waren, den Rang zuwiesen, der einem in ihren Augen gebührte. Laura Faussett war nur die Überbringerin, nicht aber die Urheberin dieser Botschaft gewesen.
    Gladys wusste seit Langem, dass hinter der blasierten Fassade der meisten Reichen nicht viel steckte; dennoch war sie immer wieder überrascht, wie hohl diese Gesellschaft hinter den Trugbildern, die sie verbreitete, wirklich war. Sie war nicht nur auf einem Maskenball, sondern auf einem Schiff voller Narren, jedenfalls soweit es die erste Klasse betraf. Sie stand auf, wandte sich an den Ober, der sie bedient hatte, bestellte zwei Flaschen Wein und ein paar Leckereien und bat darum, dies in ihre Kabine bringen zu lassen. Kurz darauf kehrte sie in ihre Unterkunft zurück und nahm die Bestellung in Empfang. Sie lächelte zufrieden. Sie würde sich keine weiteren Zumutungen mehr gefallen lassen, sondern sich auf ihre eigenen Ziele konzentrieren. Es war alles bereitet, um ihren Gast bewirten zu können.
    Beim Abendessen sah sie Roger nicht. Sie hatte auch nicht erwartet, dass er den Speisesaal aufsuchen würde; dennoch rechnete sie fest mit ihm. Sie aß nur eine Kleinigkeit und begab sich dann in das Café Parisien.
    Er war nicht da. Sie setzte sich an einen Tisch. Eine Minute verging, dann kam Mrs. Widener zu ihr und fragte, ob sie Platz nehmen dürfe.
    Gladys nickte. »Aber ja.«
    »Es würde mich freuen, wenn Sie morgen um 18.30 Uhr zum Abendessen an unserem Empfang im Restaurant teilnehmen können«, sagte Mr. Widener. »Auch Kapitän Smith wird anwesend sein.«
    »Morgen Abend?«, sagte Gladys. »Für 21 Uhr habe ich schon eine andere Einladung angenommen. Aber wenn ich es einrichten kann, komme ich gern.«
    Mrs. Widener schaute einen Moment verschnupft, weil Gladys nicht in Begeisterungsstürme ausbrach.
    »Mein Mann und ich freuen uns sehr«, sagte sie und blickte sich um. »Ach, was man auf einem Schiff so alles erleben muss«, seufzte sie und ließ vorerst offen, ob sich diese Bemerkung auch auf Gladys bezog. Falls Mrs. Widener vorgehabt hatte, ins Detail zu gehen, kam es nicht mehr dazu, denn im nächsten Moment wurde ihre Aufmerksamkeit vom Anblick eines Herrn gefesselt, der eben das Café Parisien betrat. »Ah«, sagte sie, »welch ein seltener Gast. Am ersten Abend saß er mit meinem Mann und mir zu Tisch, seither habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
    Mrs. Widener war nicht die Einzige, der Roger Carrans Erscheinen nicht entging, denn auch an anderen Tischen hatten sich Köpfe zu ihm herumgedreht. Seine Attraktivität fesselte die Aufmerksamkeit seiner Umgebung. Carran selbst sah sich nicht einmal um, sondern begab sich gelassenen Schrittes zu der Bar, wo er sich auf einen Hocker schwang.
    »Wer ist er?«, fragte Gladys, deren Herz heftig zu klopfen begonnen hatte. Sie fragte, weil sie die Hoffnung hatte, von Mrs. Widener irgendetwas über ihren Beschützer zu erfahren, das sie noch nicht wusste. »Ich begegnete ihm gestern, aber er verriet mir nicht viel über sich.«
    »Das ist Mr. Carran«, sagte Mrs. Widener. »Ein britischer Offizier. So hat er sich uns vorgestellt. Aber irgendjemand erzählte, er habe den Dienst aus persönlichen Gründen quittiert. Er lässt sich in der Gesellschaft kaum einmal sehen. Er scheint ziemlich schweigsam zu sein.«
    Carrans Profil war ihnen zugewandt. Er bestellte sich etwas zu trinken und saß in stoischer Ruhe auf seinem Platz. Erst als er sein Getränk erhielt, wandte er den Kopf und warf einen gleichmütigen Blick zu ihrem Tisch herüber. Seine Augen trafen ziemlich schnell auf die von Gladys.
    »Ist er nicht ein schöner Mann«, sagte Mrs. Widener leise zu Gladys.
    Ein kurzes Aufleuchten in seinen Augen war der einzige Gruß. Ein Unbeteiligter hätte ein sehr aufmerksamer Beobachter sein müssen, um den Kontakt zwischen ihnen beiden zu bemerken.
    »Ein sehr schöner Mann«, erwiderte Gladys ihrer Tischnachbarin. »Er gefällt mir sehr. Ich werde mich mit ihm unterhalten.« Ohne eine weitere Reaktion der verdutzten Mrs. Widener abzuwarten, erhob sich

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