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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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Bewegung über den Ozean verursachte, waren mit einem Mal verstummt. Die Titanic hatte angehalten und ihre Fahrt mitten auf dem Atlantik gestoppt. Die Bewegungslosigkeit des Schiffes, die Stille, die plötzlich herrschte, war unheimlich und irreal.
    »Jetzt haben sie doch angehalten!«, sagte Nevil irritiert und schüttelte den Kopf. »Etwas Vergleichbares habe ich mitten auf dem Ozean noch nicht erlebt, und ich habe den Atlantik schon oft überquert.«
    »Ach, die fahren gleich weiter«, erwiderte sein maskierter Kumpan.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Nevil. »Ich meine, bis sie weiterfahren?«
    Der Maskierte drehte sich fort und ging hinüber zu der Couch.
    »Wir warten«, sagte er und ließ sich auf die Couch fallen. »Solange das Schiff nicht fährt, kann die Schöne nicht über Bord gehen. Nein, im Moment ist es zu gefährlich. Na ja, es wird sicher gleich weitergehen.«
    Nevil kehrte nun ebenfalls an seinen Platz im Sessel zurück und zündete sich eine Zigarette an. Auch der Maskierte griff nach der Schachtel, und während sie rauchten, betrachteten sie Gladys und weideten sich ohne Scheu an ihrer bloß liegenden Schönheit und an ihrer Qual.
    Nach einer Weile stand der Maskierte auf, trat auf sie zu und hielt ihr die Zigarette vor den Mund.
    »Komm, nimm einen Zug, Täubchen. Es ist dein letzter.«
    Gladys schüttelte nur stumm den Kopf.
    »Meine Arme schmerzen fürchterlich«, sagte sie. »Macht mich los, damit ich sie herunternehmen kann. Ich kann euch ja doch nicht davonlaufen.«
    Der Maskierte schüttelte den Kopf.
    »Gleich, wenn du über Bord gehst, machen wir dich los. Es wird ja nicht mehr lange dauern. Du hast es bald hinter dir.«
    Gladys sah zu Boden und ließ den Kopf zwischen den Schultern hängen, sie merkte, dass sie zu resignieren begann.
    Ein paar Minuten verstrichen, aber das Schiff fuhr nicht wieder an. Stattdessen hörte man vermehrt Geräusche aus dem Schiff, Geräusche unterschiedlichster Art; es war, als ob draußen auf den Gängen Passagiere waren, die herumgingen und sich unterhielten. Bis vor zehn Minuten hatte Nachtruhe an Bord geherrscht, aber plötzlich war das Schiff wieder aufgewacht.
    »Soll ich mal rausgehen und nachsehen, was dort los ist?«, fragte Nevil.
    »Nein, bleib hier. Da draußen erzählen sie sich nur gegenseitig irgendwelchen Unsinn. Ich kenne die Leute. Ich brauche dich, um sie über die Reling zu werfen.«
    Nevil Boyes starrte missmutig vor sich hin. Die Situation behagte ihm offensichtlich nicht.
    »Komisch«, sagte er, nachdem eine Zeit lang Schweigen in der Kabine geherrscht hatte, »aber es kommt mir so vor, als hätte das Schiff eine Neigung nach Backbord bekommen.«
    Der Maskierte starrte ihn an.
    »Neigung? Unsinn! Das Schiff liegt ganz gerade.«
    Und es hat doch eine Neigung bekommen, dachte Gladys, die wieder schwache Hoffnung schöpfte. Nevil hatte recht, und auch sie selbst bemerkte es nun, sie stand nicht mehr ganz gerade mit den Füßen auf dem Boden.
    »Sehen Sie es denn nicht?«, fragte Nevil seinen Herrn und Meister. »Das Schiff hat sich geneigt. Wissen Sie nicht, was das bedeutet?«
    »Es bedeutet gar nichts«, sagte der Maskierte. »Falls wirklich Wasser eindringt, hängt es mit der Beschädigung zusammen, die unsere Leute am Heck herbeigeführt haben. Obwohl das in dieser Nacht noch keine Folgen haben sollte. Ich sehe überhaupt keinen Grund, von meinem Plan abzuweichen. Wir müssen warten, bis das Schiff wieder anfährt. Dann wird es auch da draußen wieder ruhig.«
    Sie würde schreien, überlegte Gladys, aber wann sollte sie das tun? Vielleicht war die Gelegenheit gerade günstig, da das Schiff so still dalag und es nicht vibrierte. Andererseits würden sie ihr dann sofort den Mund stopfen. Gewonnen hatte sie damit vorerst wahrscheinlich nichts.
    »Solltest du schreien, weißt du, was passiert«, sagte der Maskierte, der offenbar ihre Gedanken lesen konnte. »Du kannst die Minuten nutzen, um mit deinem Schöpfer ins Reine zu kommen.«
    »Wenn du willst, dass mein Schöpfer dir gnädig ist, solltest du von deinem Vorhaben Abstand nehmen«, sagte Gladys in erneut aufwallender Verzweiflung.
    »Ach ja, jetzt wirst du auf deine letzten Minuten noch zur Betschwester, ausgerechnet du – die beste Nutte des Londoner Ostens.«
    »Wie lange sollen wir warten?«, fragte Nevil.
    »Das weiß ich auch nicht. Es bleibt uns nichts übrig, als uns in Geduld zu üben.« Er stand auf und trat zu einem Sideboard. »Lass uns einen Cognac nehmen, Nevil«,

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