Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
Vom Netzwerk:
sagte er und stellte eine Flasche und zwei Gläser auf den Tisch. »Machen wir es uns eine Weile gemütlich.«
     
    *
     
    Auch Roger Carran war durch das seltsame Geräusch aufgeschreckt worden. Etwa um elf Uhr hatte er sich auf den Weg zum Café Parisien gemacht, aber Gladys nicht mehr dort angetroffen. Niemand von den anderen Gästen konnte ihm sagen, wann und wohin sie gegangen war. Auch der deutsche Reporter Raubold, nach dem er sich erkundigte, war nicht mehr auf dem Ball. Irgendjemand meinte, Mrs. Appleton zuletzt im Gespräch mit einem Steward gesehen zu haben, aber auch das war, wie alles andere, was er hörte, ziemlich unbestimmt. Eine Viertelstunde hatte er gewartet, aber weder Gladys noch Raubold waren in das Café zurückgekehrt. Er hatte sich dann auf den Weg zu Gladys’ Kabine gemacht, wo er die Tür verschlossen vorfand, und auf sein Klopfen war keine Reaktion erfolgt.
    Fast eine halbe Stunde durchstreifte er das Schiff auf der Suche nach seiner Geliebten. Er ging durch alle Gesellschaftsräume, besuchte die Bars und die Salons – vergeblich, er konnte sie nirgendwo finden.
    Während er nachdenklich über das Bootsdeck ging, bemerkte er winzige Eissplitter in der Luft, fein wie Staub, die Myriaden leuchtender Farben ausstrahlten, wenn sich das Licht der Decklampen in ihnen brach. Es war ruhig, klar und kalt; eine mondlose Nacht, keine Wolke hatte sich vor die glitzernden Sterne geschoben, der Atlantik sah wie eine polierte Glasplatte aus.
    Er war nahe der Kommandobrücke, als er plötzlich spürte, wie eine merkwürdige Bewegung den gleichmäßigen Rhythmus der Maschinen störte. Die Bewegung mündete in einen Ruck, eigentlich kaum mehr als ein leichtes Holpern, gefolgt von einem Zittern, das durch den Schiffskörper lief, und er hörte ein seltsames Knirschen, wie eine Kette, die über eine Winde rollt. Er blickte nach vorn, rieb sich die Augen und starrte wieder in die Nacht. Ein Windjammer unter vollen Segeln schien an Steuerbord vorüberzugleiten, ein schwarzes Schiff. Nein, kein Schiff, dachte er erschrocken, sondern etwas, das zwei lange schwarze Rippen hatte, die irgendwie miteinander verbunden waren, ein zweigipfeliges, dunkles Gebilde, flüchtig wie ein Schatten, der für Momente hoch und drohend über dem Schiff auftauchte, bevor er hinter dem Heck irgendwo achteraus in der Nacht verschwand.
    Ein Eisberg, erkannte er im selben Augenblick, ein riesiges dunkles Ungetüm von einem Eisberg, und die Titanic hatte ihn gestreift und dabei dieses unbehagliche Geräusch und das Holpern gemacht! Er lief zur Reling, um dem schwarzen Ungetüm nachzusehen, aber er konnte es schon nicht mehr entdecken. Verdammt, ein Eisberg; es war also tatsächlich geschehen, seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Er wusste, dass der Teil des Eisbergs, der sich über der Wasseroberfläche befand, nur etwa ein Neuntel seiner ganzen Masse ausmachte, und ein Zusammenstoß mit einem Eisberg war für ein Schiff eine äußerst gefährliche Sache. Ein solcher Eisberg, dessen Teil er gesehen hatte, war eine schwimmende Insel mit einem Gewicht von Hunderttausenden von Tonnen, und eine Kollision war so, als führe man mit voller Wucht gegen einen echten Felsen.
    Carran lief auf die Treppe der Kommandobrücke zu, und als er die Treppe erreichte, erblickte er Kapitän Smith, den das Geräusch sofort herbeigerufen hatte und der nun auf die Brücke eilte. Auf der Brücke stand der Offizier Murdoch.
    »Mit was sind wir zusammengestoßen?«, fragte der Kapitän den ersten Offizier.
    »Mit einem Eisberg, Sir. Ich befahl hart Steuerbord und ließ die Maschinen auf rückwärts schalten, dann wollte ich hart backbord herumfahren, doch es war zu nahe. Ich konnte nichts mehr tun.«
    »Schotten dicht!«, rief der Kapitän.
    »Schon geschehen«, sagte der erste Offizier. »Ich habe die wasserdichten Türen geschlossen.«
    Kapitän Smith schaute einen Moment lang auf das Meer, dann trat er vor und rief in den Maschinenraum. »Halbe Kraft voraus!«
    Falls das Schiff ein Leck bekommen hatte, war das keine sehr weise Entscheidung, ging es Carran durch den Sinn; denn wenn das Schiff Fahrt machte, wurde noch mehr Wasser in die frische Wunde gepresst.
    Carran sah irritiert zum Bootsdeck zurück. Einige Passagiere waren aus dem Rauchsalon ins Freie geeilt. Einer von ihnen rief:
    »Da trieb eben ein Eisberg hinter uns.«
    Auch der vierte Offizier Boxhall war auf die Brücke gestürmt. Kapitän Smith erblickte ihn und rief ihm

Weitere Kostenlose Bücher